So fährt Nikolas Elektro-Truck Tre BEV

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Nikola

Stefan Grundhoff
Stefan Grundhoff
  —  Lesedauer 4 min

Nikolas Tre BEV Elektro-Truck kommt noch dieses Jahr nach Deutschland und geht damit in Konkurrenz zu Daimler und MAN. Wir haben uns hinter das Steuer des Last-Stromers geschwungen.

Das Rennen ist jetzt auch bei den Elektro-Lkws eröffnet. Wie bei den Autos will ein US-amerikanisches Start-up den deutschen Platzhirschen das Wasser abgraben, im Schwerverkehr also vorrangig Daimler Truck und MAN. Natürlich verfügt Nikola nicht über den Tesla-Punch, aber auch die Truppe aus Arizona weiß, was sie tut. Ähnlich wie es zum Beispiel der britische Sportwagenbauer McLaren macht, konzentrieren sich die Nikola-Ingenieure auf das Wesentliche, also die Integration der Systeme beginnend mit den Controllern bis hin zur Software – und holen sich für den Rest erfahrene Unternehmen aus der Transportbranche in Boot.

Nikola: Fokus auf das Gesamtpaket aus vielen Einzelteilen

Beim vollelektrischen Truck ist das Fiat Powertrain beziehungsweise Iveco, in deren Fabrik in Ulm der Stromer-Lastesel auch gebaut wird und noch dieses Jahr in Deutschland auf den Markt kommen soll. Also früher als Daimlers eActros LongHaul oder der MAN eTruck. Die Strategen der beiden deutschen Unternehmen werden angesichts dieser Tatsache leicht schmunzeln und höflich darauf hinweisen, dass die Ladeinfrastruktur in Europa ohnehin noch nicht gut genug ausgebaut ist. Dennoch ist jeder Kilometer während des harten Alltagseinsatzes ein Zugewinn an Erfahrung.

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Deswegen sind wir in die Führungskabine des Nikola Tre BEV geklettert und haben einige Meter auf Achse absolviert. Von außen gleicht der Stromer einem klassischen europäischen Lkw, denn die aus vielen Highway-Filmen bekannte, für einen US-Truck typische Motorhaube fehlt. Klar, es muss kein großvolumiger Verbrennungsmotor untergebracht werden, da die Power von einer elektrischen Achse kommt. Die stammt von Fiat Powertrain Technologies (FPT) und das Führerhaus von deren Tochtergesellschaft Iveco, mit denen Nikola eng zusammenarbeitet. Das Cockpit ist dagegen typisch für ein US-amerikanisches Elektro-Vehikel. Im Zentrum des Cockpits befindet sich ein zum Fahrer geneigter 17 Zoll großer Touchscreen, während die virtuellen Instrumente auf einem 12-Zoll-Monitor direkt hinter dem Lenkrad den Fahrer mit Informationen versorgen.

Die ersten Meter im Nikola Elektro-Truck Tre BEV

Um den E-Motor zum Leben zu erwecken, muss die Tür komplett geschlossen sein, erst dann kann man den Automatikhebel auf D stellen. Wir steigen bedächtig aufs Gas. Kein Anrucken, der Elektro-Laster lässt sich genauso gewohnt analog bewegen wie die Diesel-Lkws. Doch der E-Effekt kommt beim Beschleunigen. Sobald wir die Leistung von 480 kW / 652 PS anfordern, steht sie sofort parat. Da unterscheidet sich der Nikola Tre BEV nicht von einem Elektro-Pkw, aber sehr wohl von einem traditionellen Lkw mit Selbstzünder. „Wir brauchen voll beladen von null auf 100 km/h nur knapp 30 Sekunden. Also nur halb so lange wie ein Diesel-Truck“, erklärt Chefingenieur Kyle Ness. Das wird auch bei der Europa-Version des Nikola Tre BEV der Fall sein, die aufgrund der geringeren Durchschnittsgeschwindigkeit auf den Straßen des „alten Kontinents“ eine längere Übersetzung erhält.

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Das reduziert die Drehzahl und hilft bei der Reichweite. Der Nikola-Lkw hat neun Akku-Pakete mit einer Gesamtkapazität von 733 kWh und einem Gewicht von insgesamt rund 4,5 Tonnen verbaut. In Europa kommen die Energiespeicher von Proterra anstelle von Cypress und haben fünf kWh mehr. Nikola betont, dass die Akkus zwar von Proterra, also einem Bushersteller, stammen, aber speziell für den Truck entwickelt wurden.

Im Gegensatz zur US-Variante, in der wir unterwegs sind, wird die Euro-Version des Sattelschleppers zwei statt drei Achsen haben. Der Euro-Truck bekommt außerdem die weiterentwickelte, kompaktere, leichtere und effizientere Version des Silizium-Carbon-Wechselrichters. Das reduziert den Verbrauch. Die Reichweite beträgt rund 530 Kilometer, natürlich deutlich weniger als ein Diesel-Lkw, aber im Bereich der europäischen Konkurrenz. Für die Logistiker ist das genug, da der Fahrer nach vier Stunden sowieso eine Pause machen muss, die genutzt wird, um auch die Akkus des Fahrzeugs wieder zu füllen. Der Nikola Tre BEV lädt mit maximal 350 kW und es dauert bestenfalls rund 90 Minuten, bis die Batterien von 10 auf 80 Prozent geladen sind.

Wir lassen den Theorieteil sacken und fahren derweil weiter. Beim Handling ohne Hänger schlägt sich der Tre BEV gut, auch bei der Rekuperation. Da bieten die US-Amerikaner sechs Stufen plus Segeln an. „Die maximale Rekuperationsstärke beträgt 800 kW“, erklärt Kyle Ness. Da bei uns die Batterien noch zu 84 Prozent geladen war, schaufelten wir nur 254 kW zurück in den Speicher. Jede der sechs Einstellungen verzögerte so geschmeidig, sodass ein Kopfnicken ausblieb. Der Tre BEV beherrscht auch das One-Pedal-Fahren, aber die Nikola-Techniker tüfteln noch am Übergang von der digitalen zur analogen Bremse, um eine Überhitzung zu vermeiden. Das ist bei unserer Testfahrt gelungen. Allerdings haben wir auch keine langen Steigungen überwinden müssen.

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Stefan Grundhoff

Stefan Grundhoff

Stefan Grundhoff ist Firmeninhaber und Geschäftsführer von press-inform und press-inform consult. Er ist seit frühester Kindheit ausgemachter Autofan. Die Begeisterung für den Journalismus kam etwas später, ist mittlerweile aber genau so tief verwurzelt. Nach Jahren des freien Journalismus gründete der Jurist 1994 das Pressebüro press-inform und 1998 die Beratungsfirma press-inform consult.
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Paul:

Mit 800 kW laden, aber 254 kWh geladen. So schwer ist das doch nicht.

Mit 100 MBit/s laden, aber 100 MByte geladen, the same thing.

Grüße

Marc:

Ich bin nicht ganz so sicher, ob die Achse für geringere Durchschnittsgeschwindigkeiten in Europa wirklich länger ausgelegt wird.

Die fehlende Schnauze hat nichts mit dem Entfall des Verbrennermotors zu tun, sondern mit den Zulassungsbestimmungen in Europa. Die Länge eines Sattelschleppers darf nur 16,50 m sein, mit Elektro 17,50 m. Somit muss die Zugmaschine ein sogenannter Cabover sein, egal welche Antriebsform. Deshalb ist die Kabine und große Teile des Fahrgestells von einem Verbrenner entliehen, nämlich vom Iveco S-Way. Was absolut schlau ist, denn im Transportgewerbe zählt Zuverlässigkeit und die Iveco Komponenten sind bewährt.

Dabei wäre eine Lkw Zugmaschine mit etwas mehr Länge und einer „Nase“ aerodynamisch günstiger. Diesen Weg hat der Tesla Semi eingeschlagen und deshalb wird er in Europa keine Straßenzulassung bekommen. Denn Trailer sind genormt, haben exakte die Länge, um zwei Seecontainer aufzunehmen. Mercedes als Marktführer hat deshalb zwei Elektrozugmaschinen: Eine für Amerika und Australien mit bewährter Optik, langer Schnauze und sehr guter Aerodynamik, nämlich den eCascadia. Und für den Rest der Welt die Cabover als E-Actros.

Das Thema Rekuperation wird bei Nutzfahrzeugen besonders spannend. es spielt eine andere Rolle als bei Pkw. Insbesondere Lieferfahrzeuge und Busse werden extrem im Verbrauch profitieren, wenn man sich da noch verbessert. 800 kW im Nikola hört sich viel an, ist es aber nicht. Für das Gewicht bräuchte man, geschätzt, eher eine Rekuperationsleistung um 2 MW. Aktuell sind Testfahrer mit 25 % Rekuperation bei solchen Lkw zufrieden, perspektivisch sollten aber 40 % drin sein.

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