Kia EV9 im Test: Wie campingtauglich ist der E-Riese?

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Elektroauto-News.net

Sebastian Henßler
Sebastian Henßler
  —  Lesedauer 6 min

Ein Siebensitzer mit fast fünf Metern Länge, über 2,6 Tonnen Leergewicht und einem 99,8 kWh großen Akku – der Kia EV9 GT-Line ist nicht nur ein Statement auf der Straße, sondern will auch unterwegs ein flexibler Begleiter sein. Im Rahmen unseres Tests waren wir mit dem E-SUV in der Stadt, auf Landstraßen und auf der Autobahn unterwegs – mit einem besonderen Fokus: Wie gut eignet sich der Kia EV9 eigentlich zum Campen?

Im Alltag zeigt sich der EV9 souverän, wie wir bereits im vergangenen Jahr bei einem vergleichbaren Modell festgestellt haben. Er beschleunigt kraftvoll, bleibt auch bei höheren Geschwindigkeiten stabil und punktet mit viel Ruhe und Komfort. Gerade als Allradversion mit 283 kW Systemleistung spielt er seine Stärken beim Anfahren und Überholen aus. Nur die 21-Zoll-Felgen des GT-Line-Trims wirken sich im Stadtverkehr negativ auf den Federungskomfort aus – kleinere Unebenheiten werden spürbar an die Passagiere weitergereicht.

Kia EV9: Ein Platzwunder?

Doch die wahre Stärke des Fahrzeugs offenbart sich beim Thema Raum. Mit 333 Litern bei voller Bestuhlung bietet der Kofferraum zunächst nicht mehr als ein Kompaktwagen. Wer jedoch die dritte Sitzreihe versenkt, kann über 828 Liter nutzen – bei umgeklappter zweiter Reihe entsteht eine nahezu ebene Fläche (je nach gewählter Sitzvariante) mit bis zu 2393 Litern Ladevolumen. Perfekt, um die Rückbank in ein provisorisches Schlafzimmer zu verwandeln.

Hier allerdings trennt sich die Spreu vom Weizen: Während die Version mit drehbaren „Swivel Seats“ eine relativ ebene Liegefläche ermöglicht, ergibt sich bei den Standard- und Relaxation-Sitzen eine leicht ansteigende Fläche, was über mehrere Nächte hinweg unbequem werden kann.

Für das Übernachten im Auto bietet der Kia EV9 eine durchdachte Funktion, die sich beim Camping besonders bezahlt macht: den sogenannten Camping Mode, im Menü als Utility Mode oder Standmodus bezeichnet. Ist dieser aktiviert, wird die Stromversorgung nicht mehr über die kleine 12-Volt-Batterie abgewickelt, sondern direkt aus dem großen Hochvoltakku gespeist.

Das hat mehrere Vorteile: Klimaanlage, Infotainment-System und Innenbeleuchtung bleiben zuverlässig in Betrieb – und das über viele Stunden hinweg. Gleichzeitig schützt das System die Bordelektrik vor Entladung, was über Nacht für zusätzliche Sicherheit und Komfort sorgt.

Standmodus für Camping im Kia EV9 das Mittel der Wahl

Im Test erwies sich der Standmodus als durchweg praxistauglich. In einer warmen Sommernacht mit rund 24 Grad Außentemperatur war es zunächst gut ohne Klimaanlage auszuhalten, lediglich am Morgen haben wir sie zugeschaltet. Der Akkustand sank in dieser Zeit von 87 auf 85 Prozent – ein minimaler Verbrauch. In der darauffolgenden Nacht, mit intensiverer Nutzung der Klimaanlage, sank der Akkustand von 83 auf 78 Prozent – auch das ist angesichts von Komfortgewinn und Fahrzeuggröße absolut vertretbar.

Die Aktivierung des „Standmodus“ folgt einer gewissen Routine, die schnell verinnerlicht ist: Fahrzeug mit Fuß auf der Bremse starten, Scheinwerfer manuell über den Drehschalter ausschalten (die Nachbarn danken), Standmodus aktivieren, Innenbeleuchtung dimmen und gegebenenfalls den Rücksitz-Alarm deaktivieren (über Einstellungen -> Komfort). Das Fahrzeug verriegelt sich automatisch von innen. Positiv: Die USB-C-Anschlüsse bleiben aktiv, ebenso die Klimasteuerung, die sich bequem vom Liegeplatz aus bedienen lässt.

Wer häufiger im EV9 übernachtet, wird kleine Optimierungen zu schätzen wissen. Die ab Werk verdunkelten Seitenscheiben (sofern Plissees verbaut sind) bieten gute Abdunklung – lediglich die Frontscheibe benötigt eine Lösung, etwa ein Handtuch oder eine maßgefertigte Abdeckung.

Als Liegefläche diente uns eine aufblasbare Luftmatratze aus dem Kia-Zubehör, aktuell nicht im Online-Shop gelistet. Sie passt sich exakt der Kontur des Kofferraums an und bildet eine großzügige Liegefläche. Aufgepumpt wird sie klassisch mit einer Fußpumpe – hier unser Tipp: Unbedingt vorher prüfen, welcher Adapteraufsatz passt, denn ein falscher Versuch endet in Frust und Muskelkater. Wichtig: Pumpe an „Out“ anschließen, bei der Matratze gibt es nur einen Anschluss.

Bidirektionales Laden erleichtert das Camping enorm

Noch komfortabler wird es mit der technischen Ausstattung des EV9: Über den Vehicle-to-Load-Anschluss (V2L) lässt sich problemlos eine elektrische Luftpumpe betreiben. Sie benötigt kaum mehr Platz als das Fußmodell, arbeitet deutlich schneller und zeigt eindrucksvoll, wie bidirektionales Laden auch beim Camping echten Mehrwert bringt.

Nicht ganz so bequem war die Matratze an sich. In der ersten Nacht lag das vermutlich am zu hohen Luftdruck, in der zweiten Nacht, mit etwas weniger Luft, wurde deutlich, dass die unebene Fläche ebenfalls ihren Teil zum eher durchwachsenen Liegegefühl beitrug. Wer ernsthaft mit dem Gedanken spielt, im EV9 regelmäßig zu übernachten, sollte definitiv zur Swivel-Seat-Variante greifen – damit lässt sich eine nahezu ebene Fläche herstellen. Zu zweit bietet der EV9 ausreichend Platz.

Ein echtes Highlight ist neben V2L auch die Steckdose im Kofferraum, über die sich größere Geräte wie Wasserkocher oder Kühlbox betreiben lassen. Die elektrisch bedienbaren Klappfunktionen der Sitze und der solide Stauraum unter dem Kofferraumboden runden das Paket ab. Einziger Wermutstropfen: Das Typ-2-Ladekabel lässt sich dort nicht verstauen, obwohl eigentlich genug Platz vorhanden wäre. Wir haben es kurzerhand im Frunk geparkt – so war es trotz Matratze im Heck immer griffbereit.

Unser Testwagen in der Ausstattungslinie GT-Line kam in der matten Farbe „Ocean Blue“ und mit Relax-Sitzpaket auf einen Gesamtpreis von 85.170 Euro. Viel Geld – aber eben auch viel Auto. Wer regelmäßig mit Familie oder Gepäck reist – oder gelegentlich im Auto übernachten möchte – bekommt mit dem EV9 einen komfortablen, elektrischen Reisebegleiter, der seinem Anspruch als Raumwunder durchaus gerecht wird.

Camping-Vergleich: VW ID.Buzz vs. Kia EV 9

Im direkten Vergleich mit dem VW ID.Buzz, den wir im Vorjahr mit der modularen BusBox-4 von Ququq getestet haben, offenbart sich ein spannender Kontrast. Der ID.Buzz punktet mit ikonischem Design, praktischer Stehhöhe und cleverer Küchenausstattung. Die BusBox-4 bietet eine ausziehbare Kochschublade mit Windschutz, Gaskartuschenkocher, Stauraum für Utensilien und eine Kompressor-Kühlbox mit 15 Litern Fassungsvermögen. Diese lässt sich über 12V oder 230V betreiben – allerdings ist Letzteres im ID.Buzz auf 30 Minuten begrenzt, bevor die Zündung erneut aktiviert werden muss. Auch die Innenraumheizung stellt sich nach einer halben Stunde ab – keine ideale Lösung für längere Nächte.

Erschwerend kommt hinzu: Die serienmäßige Innenraumüberwachung des ID.Buzz löste bei unserem Test prompt den Alarm aus, als wir uns nach dem Verriegeln schlafen legten. Die Deaktivierung ist nur temporär möglich und muss nach jedem Absperren erneut vorgenommen werden – oder man nutzt den Zentralverriegelungstaster in der Tür und verzichtet so auf die Überwachung. Funktioniert, erfordert aber Umdenken – und eine gewisse Beweglichkeit beim Ein- und Aussteigen.

Der Kia EV9 löst diese Herausforderungen eleganter. Zwar fehlt ihm die modulare Boxlösung, dafür überzeugt er mit seiner systemischen Integration. Der Standmodus funktioniert zuverlässig, ohne Zeitlimit oder Tricks. Stromversorgung, Klimatisierung und Verriegelung sind durchdacht geregelt. Und auch wenn für eine Küchenschublade schlicht der Platz fehlt, bietet das Matratzenkonzept klare Vorteile: weniger Aufwand, mehr Flexibilität, besserer Alltagsnutzen.

Unterm Strich bleibt festzuhalten: Der VW ID.Buzz mit BusBox-4 ist ein charmanter Elektro-Camper mit Stil, aber erfordert an vielen Stellen Improvisation. Der Kia EV9 zeigt sich als technisch reifer und ruhiger Begleiter – mit durchdachtem Setup, das vor allem bei minimalistischen Campingtrips punktet. Für ein paar Nächte? Auf jeden Fall. Für den nächsten Sommer mit Dachzelt? Vielleicht. Wer weiß, was wir demnächst testen.

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Sebastian Henßler

Sebastian Henßler

Sebastian Henßler hat Elektroauto-News.net im Juni 2016 übernommen und veröffentlicht seitdem interessante Nachrichten und Hintergrundberichte rund um die Elektromobilität. Vor allem stehen hierbei batterieelektrische PKW im Fokus, aber auch andere alternative Antriebe werden betrachtet.
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Gastschreiber:

Die Entscheidung trifft jeder selber. Ich hatte bspw. gestern eine Diskussion mit einem Kollegen, er wünscht sich genau diese Fahrzeuge, 5 Personen, größer gewachsen und ein Hund. Da wird die Luft, will man im eigenen Auto sicher und einigermaßen komfortabel unterweg sein, schön dünn. Und ich bin auch schon zu Viert im Ur-Fiat 500 in den Urlaub gefahren. Nur weil man etwas kann, muss es aber auch nicht gut sein.
Manch einer mag solche großen Fahrzeuge als Statussymbol nutzen, aber nicht den Weitblick zu haben, dass es durchaus auch den Bedarf gibt zeigt wenig Toleranz. Ich kenne auch genügen Personen, die fahren rein aus einem Sicherheitsgefühl große Autos, es gibt Gründe und wenn man es sich leisten kann…
Am Ende ist es eine eigene Entscheidung und die trifft jeder selber.

Gastschreiber:

Ja, das kann Spaß machen, es geht hier jedoch rein um den Sachverhalt, dass man im Auto nächtigt, nicht die vielfältigen Alternativen, die es gibt. Und wenn es dann noch ein derart hochpreisiges Auto ist, man darin nur zu Zweit nächtigen kann, werden meine Fragezeichen zur Sinnhaftigkeit noch größer.

Gregor:

die WoMos sind meist bei 4,2t begrenzt. Und bestenfalls noch besser 3,5t. 6t (aber eigentlich dann 7,5t) sind eher selten. Nur so als Info.

Gregor:

Es gibt sogar Leute die pennen in einem Raum nur aus Stoff :D
Ich vermeide so gut es geht feste Behausungen im Urlaub, weil das nicht Naturnah ist.

Sebastian Henßler:

Dafür war der Testzeitraum sicher zu kurz, nach drei Nächten sieht man dort nicht sonderlich viel. Da es sich aber um einen entsprechenden Testwagen gehandelt hat, der bereits ein paar tausend km auf dem Zähler hatte, kann ich hier zumindest den Eindruck mitgeben, dass er nicht mitgenommen / verbraucht aussah.

Sebastian Henßler:

Im Rahmen des Mobilitätswandels definitiv ein Thema. Und sind wir ehrlich. Ein paar Nummern kleiner, mit Zelt, wäre auch gegangen. Aber hier hat unsere Bequemlichkeit gesiegt. Sprich, neben den OEMs müssen auch wir Nutzer:innen umdenken.

Sebastian Henßler:

Müssen wir mal mit smart sprechen ;)

Wurzelsepp:

Frage: Warum kann das Auto nicht gleich 6 Tonnen wiegen und groß wie ein Wohnwagen mit aufgebautem Front-Schneepflug sein? Dann kann man mit seinem Mini-Ego doch gleich praktischerweise noch die Leute von der Straße räumen.

Mich widern solche Panzer nur noch an. Braucht kein Mensch. Wir sind als 5-köpfige Familie mit dem R-4 nach Italien in den Urlaub gefahren und es hat auch gereicht. Autos wie dieses im Artikel sind nur noch Statussymbol und …-Verlängerung.

Gastschreiber:

Über Camping in Autos mache ich mir meine eigenenen Gedanken über die Sinnhaftigkeit, das bleibt jedem selber überlassen. Persönlich nutze ich lieber B&B oder Hotels in entsprechenden Ländern.
Aber was mich mehr interessiert, neben der reinen Funktionalität, wie hält der EV9 vom Innenraum so eine Nutzung aus? Hintergrund der Frage, ich konnte den EV9 fahren und bereits nach kurzer Zeit waren die typischen Kontaktflächen an den Türen, im Kofferraum etc. ziemlich in Mitleidenschaft gezogen. Schon nach weniger als 10.000km sah das nicht mehr so aus, dass das Auto damit problemlos eine Leasingrückgabe schafft. Wurde darauf beim Campingversuch auch geachtet und wie waren die Eindrücke?

Gregor:

Nächster Schritt. Smart #5. Mit den Frontsitzen die flach gemacht werden können und damit 270cm Fläche, ganz neue Möglichkeiten.

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