Vielleicht hat es ja mit fernöstlicher Gelassenheit zu tun: Für den Weg der Masse waren sie bei Mazda noch nie zu begeistern. Im Gegenteil. Verlässlich kultiviert der japanische Autohersteller in Sachen Antrieb seine Eigenwilligkeit. Als die Konkurrenz schon in Scharen dem Elektroauto huldigt, bauen die Japaner weiter neue Kolbenmotoren. Weil es eben – Akku hin, Wasserstoff her – dauern wird, bis wir alle mal mit Strom unterwegs sind. Für diese Philosophie haben sie bei Mazda den Begriff „Multi Solution“ erdacht. Soll heißen: gerüstet für alle Fälle. Und weil Sonderwege mit technischer Finesse seit je den Anspruch der Marke ausmachen, konnte die Präsentation des zweiten E-Modells nach dem mittlerweile eingestellten MX-30 eigentlich nur in eine Phase fallen, da allenthalben der Verbrenner wieder hoffähig wird.
Erfreulich gegen den Trend ist der Mazda 6e in Sachen Karosserie unterwegs. Wie schön, mal wieder ein großes E-Auto zu sehen, das nicht aussieht, als sei es zum Hauptzweck für Expeditionen gebaut – nur weil sich große Batterien in großen Autos leichter verstecken lassen. Schnittige Limousine statt klobiges SUV – allein dafür gebührt den Designern ein Lob. Und während bei anderen das Licht hektisch flackert zwischen Kniffen und Kanten, Falzen und Furchen, spielen beim 6e die Reflexionen majestätisch mit sanft gewölbten Flanken. Kollateralnutzen der geschmeidigen Formgebung: Bei ersten Testfahrten erwies sich der offizielle Verbrauch von 16,5 kWh auf 100 Kilometern keineswegs als Utopie. Es zahlt sich halt nicht bloß optisch aus, wenn man dem Wind keine plastikbeplankte Schrankwand in den Weg stellt.
Offiziell ist der knapp fünf Meter lange 6e Nachfolger des Mazda6 – jener Baureihe, die den Japanern in knapp einem Vierteljahrhundert mehr als vier Millionen Verkäufe weltweit bescherte. Nur dass es in vierter Generation nun eben elektrisch vorangeht. Auch hier selbstverständlich mit ganz eigenen Ideen. Während im Basismodell ein LFP-Akku mit 68,8 kWh und 479 Kilometern Reichweite sitzt, schöpft die ebenfalls heckgetriebene Long-Range-Version Kraft aus einer NCM-Batterie mit 80 kWh und einem Radius von 552 Kilometern. Eher unerwartet: Die Einstiegsvariante bietet mit 190 kW (258 PS) etwas mehr Leistung als die Langstrecken-Limousine mit 180 kW (245 PS).
Die eigentliche Überraschung wartet jedoch bei der Ladeleistung. Der kleine Akku zieht am Schnelllader mit ordentlichen 165 kW und absolviert die Füllung von zehn auf 80 Prozent in 24 Minuten, der große Akku kommt dagegen nur auf 90 kW, was für das identische Level einen Stecker-Stopp von 47 Minuten nötig macht. Grund sei die etwas weniger moderne Zellchemie, heißt es bei Mazda. Womöglich aber scheute man den höheren technischen Aufwand, weil sich nach eigenen Schätzungen nur jeder zehnte Käufer für ein Long-Range-Modell entscheiden dürfte.
Im Fahrgastraum mit seiner serienmäßigen Überkopfverglasung macht Mazda hingegen keine Kompromisse. Vermutlich schon, um jeglichen Zweifel an der Herkunft zu zerstreuen. Schließlich entstammt die Limousine einem Joint Venture mit der China-Marke Changan und wird komplett in Nanjing im Reich der Mitte gebaut. Doch Skeptiker können höchst beruhigt sein. Auch beim 6e finden sich feine Materialien und hochwertige Verarbeitung, mit denen Mazda ganz offensiv in den Premium-Bereich äugt. Gerade auf fernöstliche Handwerkskunst ihrer Takumi-Meister legen sie in Fuchu schließlich ganz besonderen Wert.
Eher gewöhnungsbedürftig ist die Wende beim Cockpit. Stemmte sich Mazda beim CX-80 noch erfreulich gegen den ausufernden Touch-Trend, finden sich im Kommandostand des 6e mit Ausnahme der Fensterheber nur noch Tasten am Lenkrad. Das sieht wunderbar puristisch aus, erfordert aber selbst für Spiegeleinstellung, Lautstärke und Scheibenwischer-Tempo den Griff zum Display. Das kann man mögen – muss man aber nicht. Schon deshalb, weil jede Aktion über Gebühr ablenkt. Vom lästigen Gefingere Genervte flüchten sich am besten in die Sprachsteuerung.

Dank fast fünf Metern Länge gibt es vorne wie hinten reichlich Raum für Kopf und Knie. Noch nicht mal der Einstieg in zweiter Reihe erfordert große Demut vor dem schnittigen Design. Wer lieber Lasten transportiert als Leute: Hinter voller Bestuhlung warten 466 Liter Laderaum, mit umgeklappten Rücklehnen packt der 6e knapp 1,1 Kubikmeter weg. Unter der Fronthaube wartet mit 72 Litern noch ein ordentlicher Frunk – und wem selbst all dieser Platz nicht reicht: Am Heck dürfen 1,5 Tonnen an den Haken.
Sanftes Gleiten passt am besten zum Charakter des Mazda 6e
Freunde gepflegter Bogenfahrt waren bei Mazda dank straffer Dämpfung und exakter Lenkung seit jeher gut aufgehoben. Das ist beim 6e nicht grundlegend anders, wenngleich man den Widerstand am Lenkrad besser auf Stellung „Sport“ arretieren sollte. Das Gefühl der Sänfte jedenfalls haben die Ingenieure auch dank der 19-Zöller zum Glück vermieden. Nimmt man noch die schön ausgeformten Sitze und das konfigurierbare Head-up-Display dazu, stellt sich tatsächlich ein, was sie bei Mazda „Jinba Ittai“ nennen – das Gefühl der Einheit von Ross und Reiter. Doch selbst wenn es einen elektrisch aus- und einfahrenden Heckspoiler gibt: Sanftes Gleiten passt am besten zum Charakter der Limousine. Auch weil ambitioniertes Bremsen einen spürbaren Tritt erfordert. Da darf beim Übergang von elektrischer zu mechanischer Verzögerung gerne noch justiert werden.
Wie in dieser Klasse zu erwarten, wahrt der Mazda 6e Tempo, Abstand und Spur, späht in Querverkehr und tote Winkel, assistiert im Stau und bremst im Notfall auch. Und von der belüfteten Ladeschale bis zum digitalen Bluetooth-Schlüssel gibt’s auch sonst allerlei Schnick und Schnack. Die Türen öffnen sich ab 44.900 Euro, die Long-Range-Version kostet jeweils 1600 Euro Aufpreis. Das ist viel Geld, allerdings auch jede Menge Auto – und die etablierte Konkurrenz ruft für Vergleichbares deutlich mehr auf.
Auch wenn Mazda die Limousine 6e als „Meilenstein auf dem Weg in die elektrische Zukunft“ feiert – vom SUV wollen die Japaner bei künftigen Stromern nicht lassen. Schatten wirft bereits ein Modell, das in China unter der Bezeichnung EV-60 firmiert und gegen Jahresende auch nach Deutschland kommen soll. Ob das hierzulande dann CX-6e heißt, ist allerdings noch Spekulation.