Fahrbericht: Yangwang U9 – schnellstes Serienauto der Welt

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BYD

Vanessa Lisa Oelmann
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Was passiert, wenn ein chinesischer Batteriehersteller ein Hypercar baut – und damit auch noch einen Weltrekord aufstellt? Die Antwort lautet: Yangwang U9. Mit dem vollelektrischen Supersportwagen will BYD zeigen, wie weit sich elektrische Antriebstechnik im Hochleistungssegment inzwischen treiben lässt.

Das rund 4,97 Meter lange Coupé markiert den technologischen Höhepunkt der noch jungen Luxusmarke und basiert auf der sogenannten e⁴-Plattform, einem Quad-Motor-System, bei dem jedes Rad von einem eigenen Elektromotor angetrieben wird. Zusammen liefern die vier Maschinen 960 kW, also 1300 PS, und bis zu 1680 Newtonmeter sofort anliegendes Drehmoment. Die Leistungsdaten fallen entsprechend eindrucksvoll aus: Von null auf hundert beschleunigt der U9 in gerade einmal 2,4 Sekunden.

BYDs Blade Battery sorgt für enorme Ladeleistung

Die Energieversorgung übernehmen zwei Blade Battery LFP-Akkupakete mit einer kombinierten Kapazität von 80 kWh. Beide Akkus können parallel geladen werden bei einer maximalen Ladeleistung von 500 kW. Im chinesischen CLTC-Zyklus ergibt sich bei den zwei vollständig gefüllten Hochvoltbatterien rund 450 Kilometer Reichweite, realistisch dürften es 350 bis 400 Kilometer sein.

Das Leergewicht liegt bei 2475 Kilogramm, das Chassis besteht aus einem leichten Kohlefaser-Monocoque, das BYD wenig überraschend selbst entwickelt hat. Gleiches gilt für die Karbonkeramikbremsen, die in ihrer Dosierbarkeit und Wirkung einen hervorragenden Eindruck hinterlassen. Vorn rollt der Wagen auf 275er-, hinten auf 325er-Reifen in 21 Zoll. Viele weitere Bauteile stammen ebenfalls nicht von externen Zulieferern, sondern aus eigener Produktion – ein Punkt, der BYDs meisterhafte vertikale Integration einmal mehr unterstreicht.

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Technisches Kernstück des U9 ist das elektrohydraulische Fahrwerkssystem DiSus-X. Es arbeitet mit einzeln ansteuerbaren Aktuatoren an jeder Radaufhängung und kann Dämpfung und Fahrzeughöhe bis zu hundertmal pro Sekunde anpassen. Das System gleicht Nick- und Wankbewegungen nahezu vollständig aus, hält das Fahrzeug auch bei hohen Geschwindigkeiten stabil, kann eine Panzerwende ausführen und bei Bedarf sogar alle vier Räder kurzzeitig vom Boden abheben – ein Gimmick, das insbesondere auf Social Media spektakulär wirkt und dem chinesischen Hypercar zu instanter Viralität verholfen hat, in der Praxis aber vor allem die Reaktionsgeschwindigkeit der Aktuatoren verdeutlicht. Ergänzt wird das Ganze durch ein aktives Aerodynamiksystem mit vier beweglichen Flaps und einem optionalen Heckflügel.

Futuristisches Cockpit mit hohem Komfortniveau

Werfen wir nun einen Blick ins Interieur des Yangwang U9 – aber Moment mal, wie öffnet man denn überhaupt diese eleganten Scherentüren? Einen klassischen Türgriff gibt es auf den ersten Blick schon mal nicht. Tatsächlich gilt es, mit den Fingerspitzen dreimal schnell hintereinander auf den lackierten Bereich unterhalb der Seitenscheiben zu trommeln und schwups, schon schwingen die Türen motorisiert nach oben auf. Natürlich gibt es aber auch einen Notentriegelungsmechanismus – eine Griffmulde versteckt in einem Lufteinlass, gekennzeichnet durch einen winzigen weißen Pfeil. Unorthodox, aber definitiv stylisch.

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Der Innenraum überrascht mit einer Mischung aus futuristischer Gestaltung und auffallend sorgfältiger Verarbeitung. Die Mittelkonsole ist weit nach oben gezogen und trägt ein schmales horizontales Zentraldisplay, über das sich nahezu alle Fahrzeugfunktionen steuern lassen. Der Fahrer blickt auf ein kompaktes Digitalinstrument hinter einem ungewöhnlich dünn ausgeführten Lenkkranz, dessen Nabenbereich mit Karbon verkleidet ist. Sämtliche Bedienelemente wurden logisch angeordnet, und auch wenn fast alles per Touch gesteuert wird, vermittelt das Cockpit keine übertriebene Technisierung. Alles wirkt aufgeräumt und klar strukturiert.

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Auch die Sicht nach vorne ist für ein Fahrzeug dieser Kategorie gut, die Rücksicht aber naturgemäß eingeschränkt, weshalb ein digitaler Rückspiegel zum Einsatz kommt. Materialseitig setzt BYD auf eine Kombination aus Alcantara, Echtleder und Karbonfaser, ergänzt durch gelegentliche Aluminium-Details. Die Sitze mit roten Zierelementen bieten hervorragenden Seitenhalt und warten neben Heiz- und Belüftungsfunktion mit nicht weniger als sieben verschiedenen Massageprogrammen auf. Richtig so – wieso muss ein Hypercar eigentlich immer das Minimum reduziert sein und sämtliche Komfortfunktionen aufgeben? Bei fast zweieinhalb Tonnen fällt die im Sitz verbaute Technik nun wirklich nicht mehr ins Gewicht, macht im Alltag aber einen enormen Unterschied.

Fahrdynamik überzeugt trotz kurzem Testzeitraum

Fahren durften wir das Serienmodell auf dem BYD All-Terrain Circuit, eine gute Autostunde von Zhengzhou entfernt. Der Fahrtermin fiel sehr kurz aus, gerade einmal zwei Runden und stets begleitet von einem übervorsichtigen Sicherheitsfahrer. Dennoch konnte der U9 binnen dieses kurzen Zeitraums einen recht klaren Eindruck seiner fahrdynamischen Fähigkeiten vermitteln. Die Lenkung wirkt extrem präzise, wenn auch weniger sportlich ausgeformt, als man es erwarten würde. Das Bremspedal spricht wenn nötig sehr giftig an, lässt sich je nach Fahrsituation aber auch feinfühlig dosieren.

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In steilen Kurven hält das Hypercar die Ideallinie mit beeindruckender Stabilität, die Seitenwangen der Sitze passen sich automatisch an und stützen den Fahrer aktiv ab. Beschleunigt man dann wieder auf die Gerade, bleibt einem in Anbetracht der über tausend chinesischen Pferdchen kurz die Luft weg – und dabei ist der von uns gefahrene Wagen ironisch formuliert gerade einmal das Kassenmodell. Darüber steht die Variante U9 Xtreme. Diese leistet bis zu 2200 kW bzw. 3000 PS und erreichte im August 2025 auf dem Testgelände in Papenburg zunächst eine Höchstgeschwindigkeit von 472,41 km/h, im September dann sogar 496,22 km/h – schneller als der Bugatti Chiron Super Sport 300+.

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Und schwups, schon kommt das schnellste Serienfahrzeug der Welt aus dem Reich der Mitte. Das von uns getestete Modell bleibt mit einer möglichen Höchstgeschwindigkeit von 309 km/h ein ganzes Stück von diesem Rekord entfernt, zeigt aber dennoch, welches Potenzial in der Plattform steckt.

Yangwang U9 soll auch nach Europa kommen

Dass der Yangwang U9 perspektivisch nach Europa kommt, gilt als gesetzt, ein klares Datum liegt hingegen noch nicht vor. BYD konzentriert sich derzeit auf den Ausbau des Händlernetzes seiner Kernmarke sowie auf die Einführung seiner Premium-Submarke Denza. Diverse Modelle der abenteuerlustigen Offroad-Tochtermarke Fangchengbao werden in Europa künftig unter der Bezeichnung Denza angeboten, und auch für Yangwang könnte daher ein anderer Markenname denkbar sein, um die Hürde für westliche Märkte zu senken.

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Auch eine leichte Anpassung des Exterieurdesigns ist denkbar, weder der riesige Heckspoiler noch der ungewöhnliche Öffnungsmechanismus der Türen wird vermutlich von europäischen Behörden abgesegnet werden. Unabhängig davon demonstriert der U9 eindrucksvoll, wie weit sich chinesische Hersteller inzwischen in Eigenentwicklung, Fertigungstiefe und technischer Reife vorgewagt haben – denn wer hätte gedacht, dass ein 2003 gegründeter Automobilhersteller nur gut 20 Jahre später den Rekord für das schnellste Serienfahrzeug der Welt abstauben würde?

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Vanessa Lisa Oelmann

Vanessa Lisa Oelmann

Vanessa Lisa Oelmann ist 27 Jahre alt und seit 2019 vollelektrisch mit ihrem BMW i3 unterwegs. Nach ihrem abgeschlossenen International Business Studium ist sie nun als freiberufliche Automobiljournalistin tätig und engagiert sich nebenher im sozialen Bereich. Zudem hat sie ein großes Faible für Luxusgüter und Fotografie. Wenn sie nicht gerade versucht, ihre Freunde und Familie zum Elektromobilistendasein zu konvertieren, ist sie meist in diversen Autohäusern oder auf Meet-Ups mit anderen (elektro)autobegeisterten Leuten anzutreffen.

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