Stella Li: BYD braucht in Europa Geduld und Strategie

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BYD

Vanessa Lisa Oelmann
Vanessa Lisa Oelmann
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Im Konferenzraum ist es laut, draußen hupen die Autos, der Lärm der Stadt, doch Stella Li wirkt, als habe sie viel Zeit und Geduld. Sie lächelt knapp, hört lange zu, antwortet in kurzen Bögen. „Ups and Downs sind in unserer Branche normal“, sagt sie gleich zu Beginn, gefragt nach sinkenden Margen und Marktanteilen von BYD im Heimatmarkt China. „Wir machen uns in dieser Hinsicht überhaupt keine Sorgen.“ Was viele übersehen, so Li: Während die Öffentlichkeit vor allem auf die BYD-Hauptmarke schaut, verzeichnen die Premium-Schwestern Denza und Fangchengbao bei den Absätzen große Erfolge. Und selbst die schwächelnde Kernmarke BYD sei in China weiterhin die unangefochtene Nummer Eins.

Diese Gelassenheit speist sich aus einem Selbstverständnis, das Li mit drei Wörtern beschreibt: „Ingenieure, Innovation, Technologie.“ So definiert sie die DNA von BYD und führt diese Werte auf Gründer und Präsident Wang Chuanfu zurück: „Er ist Professor der Elektrochemie. Als BYD damals mit 20 Mitarbeitenden und 300.000 US-Dollar startete, floss der Großteil dieses Geldes nicht etwa in Marketing oder Vertrieb, sondern in Forschung und Entwicklung.“ Wang verbrachte damals 60 Prozent seiner Zeit in der F&E-Abteilung.

Dieser Fokus prägt das Unternehmen bis heute: „Wir haben viele hochtalentierte PhD-Absolventen. Gib ihnen eines unserer hundert Projekte – sie liefern ab. Sie enttäuschen nicht. Sie haben total Lust auf die Technologie von Morgen, ganz wie Wang Chuanfu.“ Dass Außenstehende häufig nur auf die Marge schauen, kontert Li folgendermaßen: „Schaut euch an, wie viel wir in F&E investieren. Unsere F&E-Ausgaben sind mit Abstand unser größter Kostenblock. Aber nur so entsteht das Auto der Zukunft.“

Autonomes Fahren: Staatliche Regulierung als größtes Hindernis

In puncto autonomen Fahren zählt BYD in China zu den offensiveren Akteuren. Doch Li bremst überambitionierte Erwartungen eines zeitnah erscheinenden BYD-Robotaxis: Ein solches Projekt sei nicht nur eine Frage der Technik, sondern insbesondere der Regulierung und der Behörden. Gleichzeitig verweist sie auf konkrete Features an Assistenzsystemen bereits existierender Modelle: Der Denza Z9 GT ist mit BYDs aktuellstem „God’s Eye“-System ausgestattet, einem hochentwickelten Verbund aus Radar, Lidar und vielen Kameras. Im urbanen Verkehr fahre das Auto fast von selbst.

Per Vorschrift müsse die Hand zwar stets am Lenkrad bleiben, „aber sonst müssen Sie nicht viel tun, selbst bei dichtem Verkehr sowie vielen Rollern und Motorrädern reagiert das Fahrzeug souverän.“ BYD baue derzeit zudem ein europäisches Team für das Thema autonomes Fahren auf. Softwareseitig verspricht Li einen steilen Lernpfad: Over-the-Air-Updates sollen die Fähigkeiten mit jedem Update erweitern, gerade bei Denza-Modellen, die in dieser Hinsicht bereits heute sehr weit seien. Auf die Frage nach dem aktuellen ADAS-Level der BYD-Fahrzeuge in China antwortet sie: „Man kann hier durchaus von Level 4 sprechen.“

Vertrauen kostet Zeit – und Geld

Und wie sieht es mit BYDs Strategie in Europa aus? „Wir stehen im europäischen Markt gerade noch am Anfang“, sagt Li. BYD baue konsequent die Händlernetze aus und investiere sehr viel Geld in Marketing. Profitabel sei das Europageschäft erst mit deutlich mehr Volumen. „Aber wir denken langfristig. Vertrauen baut man nicht über Nacht auf – man muss langfristig in eine vertrauensvolle Beziehung investieren.“ Die Fixierung auf kurzfristige Renditen, so Li, verfehle den Punkt. Für sie zählt zunächst, Bekanntheit zu schaffen.

Wichtiger als eine absolute Verkaufszahl sei ihr deshalb beispielsweise eine qualitative Metrik: „Wenn ich in Frankreich oder Spanien auf der Straße eine zufällige Person anspreche und sie frage: ‚Was ist BYD?‘ – dann hoffe ich, dass 50 Prozent der Befragten sagen: ‚Die bauen innovative Elektro- und Plug-in-Hybrid-Modelle.‘ Dann haben die Leute unsere Message verstanden, dann sind wir auf Kurs.“

Eine unangefochtene Spitzenposition in den europäischen Märkten, so wie in China, das hält Li allerdings für äußerst unrealistisch. „Europa ist die Heimat des Autos. Das erste Auto der Welt kam aus Deutschland. Demzufolge ist der europäische Markt natürlich besonders tricky. Dort jemals die Nummer 1 zu werden, das glauben wir nicht. Aber einer der Key Player – sicher, das schaffen wir.“ Ein konkretes Datum, wann sie sich mit VW und Co auf einer Ebene sieht, vermeidet Li zwar, auf wiederholtes Nachfragen setzt sie dann aber doch noch nach: „In spätestens zehn Jahren werden wir zu den Hauptakteuren im europäischen Automarkt gehören.“

Kooperationen, Übernahmen, Bündnisse mit anderen Herstellern – wäre das womöglich ein Beschleuniger? Li schmunzelt: „Wenn Sie Empfehlungen haben, welche Konkurrenten wir übernehmen sollten, dann sagen Sie gerne Bescheid.“ Dann wird sie ernst. BYD sei eine Stand-Alone-Company, weil der Hersteller komplett anders ticke als klassische Autobauer.

Der Vergleich, den sie zieht, ist kalkuliert: „In der Autoindustrie ist BYD eher wie Apple – und Apple kauft keine Marken auf, weil sie einfach zu anders sind.“ Der Subtext: Die eigene Stärke liegt im integrierten Technologie-Stack – von der selbst entwickelten Batterie bis zu 70 Prozent der Lieferkette im eigenen Haus.

Europa-Strategie: DM-i als Brücke, Flash Charging als Hebel

Strategisch betrachtet sieht Li Europa als Zwei-Stufen-Markt. Stufe Eins ist die Einführung weiterer DM-i-Modelle (also Range-Extender und Plug-in-Hybride), und zwar gerade dort, wo Verbrenner derzeit noch dominieren. „In Frankreich wählen über 75 Prozent der Autokäufer noch Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Das von BYD entwickelte DM-i System soll diese Mehrheit langsam und behutsam an New Energy Vehicles heranführen“.

Li ist überzeugt, dass die europäische Kundschaft nach einem Plug-in-Hybriden ziemlich schnell Lust auf ein vollelektrisches Fahrzeug bekommt und zieht hierfür den Vergleich zu den Erfahrungswerten aus China: 60 Prozent der hiesigen DM-i-Kundschaft wechsle beim nächsten Kauf auf ein reines Elektroauto. Dazu passe, dass etwa in Frankreich Strom dank Kernkraft äußerst günstig sei: „Wir müssen die Menschen nur behutsam an das Thema Elektromobilität heranführen, der Rest kommt dann von allein. Wenn sie beispielsweise merken, wie viel günstiger 100 Kilometer in einem Elektroauto sind – und wie viel komfortabler noch dazu.“

Stufe Zwei adressiert dann die Sorgen um ungenügende und zu langsame Ladeinfrastruktur. Li kündigt deshalb an, das bereits bei der IAA Mobility in München demonstrierte Flash Charging nach Europa zu bringen. Die Bedingungen seien äußerst simpel: „Wenn man 200 kW am Standort installieren kann, können wir dort Flash Charging anbieten, weil wir mit Batteriespeichern arbeiten.“ Statt an Autobahnen und Schnellstraßen verfolgt BYD aber eine andere Strategie: Die ersten Flash Charging Stationen werden bei BYD-Händlern entstehen, anschließend sollen Partnerschaften mit Ladeinfrastrukturbetreibern sowie Mietwagen- und Taxi-Flotten eingegangen werden. Die Infrastruktur brauche wenig Fläche, die Technik sei modular. innerhalb der kommenden zwei Jahre sind 500 bis 600 Stationen geplant.

„Wir fahren keine Billigpreis-Strategie“

Das gängigste Narrativ über chinesische Autos in Europa, billiger als die etablierten Hersteller zu sein, lehnt Li für BYD ab. „Wir positionieren uns nicht als Billigpreisanbieter. Das müssen wir auch gar nicht.“ Wieder fällt der Apple-Vergleich: Wenngleich ein iPhone deutlich teurer sei als konkurrierende Smartphone-Modelle, so ändere das nichts daran, dass die Leute unbedingt das iPhone wollen.

BYD liefere nicht die günstigsten Preise, sondern vielmehr das beste „Wert durch Technologie“-Verhältnis. Beispiele aus Übersee sollen das belegen: „In Brasilien und Mexiko liegen BYD-Preise etwa 20 Prozent über den Preisen anderer chinesischer Wettbewerbern, und doch kaufen die Leute vorrangig BYD. Die Kunden merken, dass BYD mehr als nur eine Automarke ist, und sie sind bereit, mehr dafür zu zahlen.“

Ungarn, Zölle – und die Geduldsfrage

Mit dem Werk in Ungarn sollen BYD-Modelle perspektivisch ohne China-Zölle nach Europa kommen. Bedeutet das sinkende Endpreise etwa für den Dolphin Surf? „Das ist perspektivisch das Ziel“, sagt Li – mit einer Einschränkung: Der Hochlauf der ungarischen Fabrik koste wahnsinnig viel Geld und die ersten in Ungarn gefertigten Fahrzeuge werden daher für BYD zunächst teurer sein als die aus Fabrikate aus China. Erst im Laufe der Zeit werde man die Kosten senken können – „und vielleicht fällt dann auch der Preis“.

Der Dolphin Surf ist übrigens das erste Modell, das in Ungarn vom Band laufen soll. Parallel denkt BYD weiter: Nach Ungarn für Europa und Türkei mit globalerer Ausrichtung befinde man sich „in der Entscheidungsphase für ein drittes Werk“ – Spanien befinde sich hier in der engeren Auswahl.

Premium als Alltagserleichterung und nicht nur als Lifestyle-Gefühl

Mit Denza kommt nun die zweite BYD-Marke nach Europa, doch wie will Denza in Europas dicht besetztem Premium-Segment auffallen? Lis Antwort ist ein ganz offenbar auswendig gelernter Katalog aus diversen Sicherheits- und Komfort-Features, die den Begriff „Premium“ als Problemlöser definieren sollen. Zunächst das Thema Sicherheit: BYD unterzog den Denza Z9GT einem riskanten Experiment und ließ bei 180 km/h einen Reifen platzen – das Auto blieb dabei vollständig manövrierfähig. Ermöglicht wird dies durch drei unabhängig ansteuerbare Elektromotoren, einen an der Vorderachse und zwei an der Hinterachse. „Dieses Feature besitzt kein europäisches Konkurrenzmodell“, betont Li und führt ihr Plädoyer anhand Denzas hochentwickelten Komfortfunktionen fort. „Ich hasse Parken in Europa. So viele enge Straßen und enge Parklücken. Einfach katastrophal.“

Hier kommt der Crab Walk zum Einsatz, der das Fahrzeug seitlich in die Parklücke gleiten lasse und das klassische „Rückwärts im S“-Einparken obsolet mache. Ein anderer Fall sei das Parken auf dem Supermarktparkplatz oder in einer Tiefgarage, wo man die Türen aufgrund der engen Parkplätze kaum öffnen und aussteigen kann, ohne das eigene sowie das benachbarte Fahrzeug zu beschädigen. Auch hier hat Denza eine Lösung gefunden: Taste drücken, aussteigen, und schwups, das Auto parkt selbstständig ein.

Lis Schlussfolgerung: „Premium ist deutlich mehr als schönes Design, hochwertige Materialien und viel Motorleistung. Premium bedeutet, das Leben der Kundinnen und Kunden jeden Tag ein Stück einfacher zu machen.“ Die historischen Vorteile der Traditionsmarken bestreitet sie nicht, aber die automobile Welt verändere sich derzeit massiv: „Technologie wird das Premiumsegment langfristig dominieren.“

Wer BYDs Europa-Drehbuch verstehen will, muss in drei Zeithorizonten parallel denken:

Jetzt: Markenaufbau und Vertrauen. Keine Jagd auf kurzfristige Profitabilität, sondern Bekanntheit und Storytelling.

Mittelfristig: DM-i als Brückentechnologie, um die jetzige Verbrenner-Kundschaft behutsam in die Welt der Elektromobilität zu überführen, außerdem die Einführung von Flash Charging als sichtbarer Infrastrukturschub.

Langfristig: Starke Lokalisierung (Ungarn, Türkei, ggf. Spanien), Skaleneffekte, Kostenkurve nach unten.

Diese Choreografie ist aber eben nur dann konsistent, wenn BYD tatsächlich das bleibt, was Li immer wieder beschwört: ein Technologieunternehmen, das Autos baut, nicht umgekehrt. Deshalb die stete Rückbindung an F&E-Kennzahlen, deshalb die robuste Lieferketten-Integration, deshalb auch die – im besten Sinne – Sturheit, eben kein Billigpreisanbieter sein zu wollen.

Gleichzeitig steht im Subtext ein Anspruch, der größer ist als Verkaufslisten: eine Erzählung zu etablieren, die BYD in westlichen Köpfen verankert, als Innovator, als Wertführer, als Architekt eines New-Energy-Ökosystems.

Zum Schluss noch einmal der Blick auf das Hier und Jetzt: Europa ist teuer. Händlernetze kosten, Marketingmaßnahmen kosten, Lokalisierung kostet. Die Produktion in Ungarn wird die Preise für Endkunden nicht sofort senken können. Spanien liegt als drittes Werk auf dem Tisch, die finale Entscheidung läuft gerade.

Premium-Marke Denza wird Flash Charging nach Europa tragen, 500 bis 600 Stationen stehen in den nächsten zwei Jahren auf dem Plan. Und irgendwo in diesem Planungsgewebe arbeitet bereits das autonome Europa-Team an der nächsten Software-Stufe – während in den Laboren in Shenzhen hunderte PhD-Absolventen an Projekt Nummer 47 und 83 tüfteln.

Stella Li erhebt sich, wieder ein knappes Lächeln. „BYD ist nicht nur ein Auto“, sagt sie noch einmal. „Es ist die Technologie hinter dem Auto.“ Der Rest – Margen, Marktanteile, Meilensteine – sei eine Frage der Sequenz. Oder, um es in Applescher Diktion zu sagen: Das Ökosystem gewinnt am Ende. BYD will es in Europa beweisen – Schritt für Schritt, Update für Update.

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Vanessa Lisa Oelmann

Vanessa Lisa Oelmann

Vanessa Lisa Oelmann ist 27 Jahre alt und seit 2019 vollelektrisch mit ihrem BMW i3 unterwegs. Nach ihrem abgeschlossenen International Business Studium ist sie nun als freiberufliche Automobiljournalistin tätig und engagiert sich nebenher im sozialen Bereich. Zudem hat sie ein großes Faible für Luxusgüter und Fotografie. Wenn sie nicht gerade versucht, ihre Freunde und Familie zum Elektromobilistendasein zu konvertieren, ist sie meist in diversen Autohäusern oder auf Meet-Ups mit anderen (elektro)autobegeisterten Leuten anzutreffen.

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