Kurzreview: Kia EV9 – Die Wucht auf Rädern

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Wolfgang Plank

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Das also kommt heraus, wenn man Kia-Ingenieure nach dem SUV der Zukunft suchen lässt: ein knapp 2,8 Tonnen schwerer Siebensitzer, fast einsachtzig hoch und mit fünf mal zwei Metern Grundfläche größer als so manches WG-Zimmer. Immerhin aber fährt der EV9 rein elektrisch, brilliert mit einem durchdachten Raumkonzept – und ist in der Lage, innerhalb einer Viertelstunde Strom für 249 Kilometer an Bord zu nehmen. Womöglich ist es genau das, was die Kia-Philosophie „Opposites United“ verkörpern soll: vereinte Gegensätze.

Warum allerdings ausgerechnet ein Gefährt, das sich 30 Zentimeter länger streckt als der ID.Buzz, als „anmutig-gelassen“ gelten soll: Das dürfte das Geheimnis von Kia-Chefdesigner Karim Habib bleiben. Jede Menge umbauter Raum auf Kante gezeichnet ist – zumindest optisch – eine völlig andere Idee als der schick geschwungene EV6 auf derselben Plattform. Und so beschreibt den EV9 eher die ebenfalls zitierte „unbestreitbare Robustheit“. So oder so hat er bereits seine Fans: In der Luxusklasse wurde der koreanische Koloss eben erst zum „German Luxury Car of the Year“ gekürt und ist in manchen Märkten wie etwa Kanada bereits vor Start der Auslieferungen ausverkauft.

Die gegenläufigen Türen des seinerzeitigen Concept-Cars haben es – erwartbar – nicht in die Serie geschafft. Bei 3,10 Metern Radstand und einer 566 Kilogramm schweren Batterie ist nun mal kaum ohne B-Säule auszukommen. Dass das ehemals klappbare und beinahe rechteckige Lenkrad auf der Strecke blieb, darf man indes als Glücksfall verbuchen. Funktion geht am Ende halt doch besser vor Form.

Die schiere Wucht des EV9 macht optisch wie technisch allerlei Finessen nötig. Vom Kia-typischen „Tigergesicht“ bleibt ohne Not zum Kühlergrill nur mehr die vom Lichtspiel einer Sternenwolke eingefasste Farbfront mit aktiven Luftklappen und „Air Curtains“ im Stoßfänger. Zusammen mit besonders windschlüpfigen Felgen addieren sich all die aerodynamischen Kleinigkeiten zu einem ausgezeichneten cw-Wert von 0,28. Der allerdings täuscht ein wenig darüber hinweg, dass bei dem als „familienfreundliches Flaggschiff“ ausgerufenen EV9 ordentlich Silhouette im Wind steht.

Eine ebenfalls beschworene „Hommage an die Perfektion der Natur“ ist in jedem Fall die an die Tiefen des Ozeans angelehnte Lackierung der Testwagen. Ein Thema, das sich auch im Innenraum des EV9 fortsetzt. Für den Bodenbelag verwendet Kia aufgearbeitete Fischernetze, für die Sitzbezüge recycelte Plastikflaschen. Und als Leder-Alternative findet sich Bio-Polyurethan, das zum Teil aus Mais gewonnen wird. Apropos Innenraum: Alternativ gibt es die zweite Reihe auch mit zwei Einzelsitzen. Wahlweise klappbar für die kleine Pause zwischendurch – oder drehbar. 90 Grad in Richtung Tür für die bequeme Beschickung des Kindersitzes – und 180 Grad für die improvisierte Konferenz. Auch diese Idee ist eine Wucht.

Kollateralnutzen der üppigen Dimensionen: Nicht bloß hinterm Lenkrad und mittig kann man sich fühlen wie Gott in Korea, selbst in Reihe drei sind Zustieg und Aufenthalt durchaus noch passabel. Klar, dass auch Wegpackern das Herz aufgeht. 333 Liter finden hinter voller Bestuhlung Platz, komplett flachgelegt schließt sich die gewaltige Heckklappe über knapp 2,4 Kubikmetern. Weitere 90 Liter Stauraum finden sich unter der Fronthaube (der Allradler bietet wegen des zweiten Motors nur 52). Wem das noch immer nicht reicht – am Heck dürfen stolze 2,5 Tonnen an die Kupplung. Das ist schon im Reich der Verbrenner eine Hausnummer, unter Stromern erst recht.

Der Vortrieb speist sich aus einem 99,8-kWh-Speicher, allerdings darf man bei dem stolzen Kampfgewicht die Basisversion mit Heckantrieb und 150 kW fast schon als untermotorisiert einstufen. Reicht aber für gemütliche Fahrer locker aus. Der vorne mit weiteren 133 kW treibende Allradler macht seine Sache da deutlich souveräner, sprintet in der GT-Variante sogar in 5,3 Sekunden auf Tempo 100 (Heckantrieb: 9,4) und zieht zügig durch bis 200. Wer diesem Reiz allzu oft erliegt, kann die offiziellen 505 Kilometer Aktionsradius des Top-Modells natürlich abschreiben (Heckantrieb: 563). Allerdings ist die heiße Hatz ohnehin nicht die Kernkompetenz des Koreaners. Wer betont kurvenknackig unterwegs sein will, sollte besser im EV6 GT einsteigen. Der EV9 ist eher für die große Überfahrt gemacht, und es gilt der aus dem Schiffsbau entlehnte Grundsatz „Länge läuft“. Dennoch schlägt sich der stahlgefederte Raum-Gleiter selbst in schnellen Kurven durchaus achtbar.

Doch egal, wie man den Kurs auch setzt – irgendwann ist der Saft alle. Dank 800-Volt-Technik vergehen aber nur 24 Minuten, bis sich der 99,8-kWh-Akku bei maximal 210 kW von 10 auf 80 Prozent regeneriert hat. Sehr viel schneller ist ein gemütliches Pausen-Käffchen auch nicht geschlürft. Pfiffig und obendrein serienmäßig: Ist man mit der Routenplanung des Navis unterwegs, wird der Akku kurz vor dem Erreichen der Ladesäule auf ideale Temperatur gebracht.

Nicht ganz so schnell geht’s an der 11-kW-Wallbox. Hier muss man für die volle Ladung zwar gut neun Stunden einplanen, was einem aber auch egal sein kann, wenn man über Nacht lädt. Überaus beruhigend: Technologisch ist der EV9 schon auf künftige Anforderungen des bidirektionalen Ladens vorbereitet – bis hin zur Einbindung in die öffentliche Stromversorgung (V2G). Und: Die 7-Jahre-Kia-Garantie (maximal 150.000 Kilometer) schließt den Akku mit ein.

Auch in Sachen Sicherheit gibt’s keinerlei Kompromisse. Der EV9 hat seine künstlichen Augen überall, wahrt Tempo und Abstand, späht in Querverkehr und tote Winkel und bremst zur Not selbsttätig. Die wichtigsten Helfer im Alltag dürften angesichts der Abmessungen indes Rundumsichtkamera, fernsteuerbarer Park-Automat und Seitenwind-Assistent sein.

Die Kommandobrücke ist eines Flaggschiffs ebenfalls würdig. Über der klassisch kühl gehaltenen Konsole verschmelzen Kombiinstrument und Navi (je 12,3 Zoll) mit dem 5,3-Zoll-Touchscreen für die Klima-Funktionen zu einem imposanten Info-Breitband. Genügend kleine Stauräume hat’s auch, dazu USB-C-Ladebuchsen in allen drei Sitzreihen. Und die Verarbeitung ist über jeden Zweifel erhaben.

Kia-Deutschland-Chef Thomas Djuren glaubt daher, dass der EV9 „Menschen zum Umstieg auf ein Elektroauto ermutigen wird“. Der Preis allerdings erfordert ein gewisses Maß an Kühnheit. Schließlich öffnen sich die wuchtigen Türen für das heckgetriebene Modell erst ab 72.490 Euro, zusätzliche Kraft an der Vorderachse kostet 4000 Euro Aufpreis, und für einen EV9 in der nahezu voll ausgestatteten GT-line Launch Edition ruft Kia stolze 83.190 Euro auf. So lieb muss einem der Wechsel erst einmal sein, dass er einem dann auch so teuer ist.

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Wolfgang Plank

Wolfgang Plank

Wolfgang Plank ist freier Journalist und hat ein Faible für Autos, Politik und Motorsport. Tauscht deshalb den Platz am Schreibtisch gerne mal mit dem Schalensitz im Rallyeauto.
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Vernon:

Grauenhaft

Stefan:

Wer ihn mag. Immerhin ist er als rollender Hausbatterie Speicher mit einem bidirektionalen Batterie Anschluss ausgestattet. Und das Pferd oder Boot lässt sich auch ziehen.

Spiritogre:

Das hier ist eine Familienkutsche als Alternative zum VW Bus bzw. ID.Buzz. Das hat mit Pickups oder Arbeitsgeräten nichts zu tun.

MMM:

Für alle drei Bereiche gibt es bessere Fahrzeuge, das hier wird so ein typischer Stadtgeländewagen, um Kinder standesgemäß zur Schule zu bringen.
Und der Einkauf bei Aldi geht bestimmt auch rein.

MMM:

Was für ein Monstrum. Zweikommaacht Tonnen, das stellt selbst einen BMW i7 in den Schatten.
Immerhin, der Preis pro kg ist besser. ;-)
Trotzdem ein teures Auto. Bei dem Preis werden sich die (hierzulande hoffentlich wenigen) Kunden sicher gerne den Frontmotor dazu bestellen, damit der Kleinlaster auch in Schwung kommt. Den kleinen Aufpreis kann man sich gönnen. Spätestens mit 2,5 to am Haken ist beim Hecktriebler wohl Schluss mit lustig.

Jens:

Ich verstehe gut, dass man solch einen Brocken nicht uneingeschränkt gut finden kann, gar keine Frage. Aber ein bisschen mehr Genauigkeit würde einige Einschätzungen durchaus in ein anderes Licht rücken: ja, der ID.Buzz ist kürzer, kommt in dieser Ausführung aber auch nur als Fünfsitzer. Der Siebensitzer wird in etwa die gleiche Länge wie der Kia haben, wiegt in etwa das Gleiche, ist dabei höher und kommt mit einem kleineren Akku. Und wenn man den VW auf ein halbwegs vergleichbares Ausstattungsniveau bringt, ist man auch ganz schnell bei 80.000 Euro – ohne Allrad, ohne dritte Sitzreihe.

Paulchen:

Unnötig wie ein Ford-F150, Toyota Hilux, Tesla Cybertruck usw.Und ja, ich weiß, alle arbeiten irgendwie als Förster, auf dem Bau oder in einer Gärtnerei

Marc:

Schön geschrieben der Bericht.

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