Bidirektionales Laden (V2G): Polestar arbeitet an virtuellem Kraftwerk

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Polestar

Felix Katz
Felix Katz
  —  Lesedauer 6 min

Polestar entwickelt für das bidirektionale Laden ein virtuelles Kraftwerk, das Polestar-3-Fahrzeuge mit dem Stromnetz verbindet. Emmanuella Wallin, V2G-Projektleiterin bei Polestar, erläutert in einem Interview die Potenziale und Herausforderungen der Vehicle-to-Grid (V2G)-Technologie und wie sie die Transformation der Energieinfrastruktur beeinflussen kann.

Vehicle-to-Grid (V2G), auf Deutsch „Vom Fahrzeug zum Netz“, bezeichnet ein Konzept, bei dem Elektroautos elektrischen Strom aus ihren Antriebsbatterien zurück in das öffentliche Stromnetz abgeben können. Bidirektional ladefähige Fahrzeuge sind also nicht nur in der Lage, elektrische Energie aus dem Netz zu beziehen, sondern können auch als Teil eines intelligenten Energiesystems in Zeiten hoher Netzlast über spezielle Ladestationen überschüssige Energie wieder in das Netz oder in das eigene Haus einspeisen. Vehicle-to-Grid ermöglicht somit eine intelligente Sektorenkopplung und kann beispielsweise auch dazu dienen, ein Haus während eines Stromausfalls mit Energie zu versorgen.

Kürzlich gab Polestar bekannt, dass man sich einem großen V2G-Projekt in Göteborg angeschlossen habe, welches von Stakeholdern im Stromnetzsektor initiiert wird. Bei dem Projekt kommt eine große Flotte von Polestar-3-Fahrzeugen zum Einsatz. Polestar will gemeinsam mit der schwedischen Netzbehörde Svenska Kraftnät, dem lokalen Netzbetreiber Göteborg Energi Nät, dem regionalen Energieversorger Vattenfall Eldistribution, dem Anbieter von Ladestationen für Privathaushalte Easee und dem Forschungspartner Chalmers University of Technology potenzielle Geschäftsmodelle für V2G finden und konkrete Anwendungsfälle erproben, die skalierbar und überregional einsetzbar sein sollen.

Kürzlich gab Polestar bekannt, dass man sich einem großen Vehicle-to-Grid (V2G)-Projekt in Göteborg angeschlossen habe. Jenes werde eine große Flotte von Polestar-3-Fahrzeugen umfassen und soll eines der größten V2G-Pilotprojekte in Europa werden | Bild: Polestar

Virtuelles Kraftwerk verbindet Fahrzeuge mit dem Stromnetz

Die bidirektionale Ladetechnologie ermögliche es den Polestar-3-Fahrzeugen, ihre Batterien nicht nur zu laden, sondern auch zu entladen und die Energie an einen Haushalt oder das Stromnetz zurückzugeben. Hierfür entwickelt Polestar ein virtuelles Kraftwerk (Virtual Power Plant, VPP), das alle teilnehmenden Fahrzeuge mit dem Stromnetz verbindet. Das cloudbasierte VPP berechne die Gesamtkapazität der angeschlossenen Batterien und veranlasst das Laden oder Entladen auf der Grundlage der Netznachfrage und der Optimierung der Batterielebensdauer. So könnten Autobesitzer einen Beitrag zur Energiewende leisten, während sie gleichzeitig Geld verdienen, ohne eingreifen zu müssen. Das Fahrzeug werde einfach angeschlossen und das VPP sowie die intelligente Ladetechnik erledige den Rest – sie sollen die Batterienutzung für den Transportbedarf optimieren und das Stromnetz unterstützen.

Durch die beschleunigte Elektrifizierung der Mobilität und der Industrie sowie den Ausbau der erneuerbaren Energien werden höhere Anforderungen an die verfügbare Kapazität in den Stromnetzen gestellt. Stromerzeugung aus variablen Energiequellen wie Wind und Sonne ist wetterabhängig und erfordert Planung, da die Stromversorgung nicht einfach an die Nachfrage angepasst werden kann. Um umfangreiche und kostspielige Investitionen in den Netzausbau und die Verstärkung der Netze zu vermeiden, besteht Bedarf an flexiblen Energiespeichern, die zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage beitragen. Mit der zunehmenden Verbreitung von Elektroautos werden Batterien zu einer nützlichen Speicherlösung für Stromnetze.

Die Testphase des Göteborger Pilotprojekts soll im ersten Halbjahr 2024 beginnen und zwei Jahre lang laufen. Das Pilotprojekt wird eine große Flotte von Polestar-3-Fahrzeugen umfassen und soll eines der größten V2G-Pilotprojekte in Europa werden, an dem wichtige Vertreter der nationalen und lokalen Energieinfrastruktur beteiligt sind. Die Vorstudie in Kalifornien beginne im Dezember 2023 und laufe bis Oktober 2024, erklärt der Hersteller.

Bidirektionales Laden (V2G): Polestar arbeitet an virtuellem Kraftwerk
Elektroautos könnten durch die Teilnahme an V2G-Projekten zu einer Einnahmequelle werden, indem überschüssiger Strom ins Netz zurückgespeist wird | Bild: Polestar

„Elektroautos könnten zur Einnahmequelle werden“

In einem Interview mit Springer Professional betont Emmanuella Wallin, V2G-Projektleiterin bei Polestar, dass die Einführung von Elektroautos und der Übergang zu erneuerbaren Energien entscheidend seien, um die Klimaziele zu erreichen. Das Gespräch beginnt mit der Frage nach der Anzahl der Elektroautobesitzer, die für die Deckung des Energiespeicherbedarfs durch V2G-Programme bis 2030 notwendig wären. Wallin betont, dass dies eine komplexe Aufgabe sei, die von zahlreichen Faktoren abhänge.

Sie macht deutlich, dass eine detaillierte Analyse nötig sei, die die spezifischen Merkmale jeder Region, die Geschwindigkeit der E-Auto-Einführung und die sich entwickelnde Energielandschaft berücksichtigt. „Die Bestimmung der Anzahl der Besitzerinnen und Besitzer von Elektrofahrzeugen, die zur Deckung des Energiespeicherbedarfs durch V2G-Programme bis 2030 erforderlich sind, ist eine komplexe Aufgabe und hängt von mehreren Faktoren ab, etwa der Batteriegröße der Fahrzeuge, dem regionalspezifischen Energiebedarf und den regulatorischen Rahmenbedingungen“, erklärt Wallin im Interview.

Ein weiterer Schwerpunkt des Interviews liegt auf der finanziellen Perspektive für Elektroautobesitzer im Rahmen von V2G. Wallin bestätigt, dass Elektroautos durch die Teilnahme an V2G-Projekten zu einer Einnahmequelle werden könnten, indem überschüssiger Strom ins Netz zurückgespeist wird. Dabei betont sie jedoch, dass die genauen Einnahmen von verschiedenen Faktoren abhängen, darunter dem Strompreis, dem Flexibilitätsmarkt, der Projektdauer und dem individuellen Fahrverhalten. Aktuell sei es schwierig, genaue Angaben zu Erträgen oder Kosteneinsparungen zu machen. Das laufende Pilotprojekt habe jedoch das Ziel, erste Erkenntnisse zu gewinnen und die richtigen Anreize für Elektrofahrzeugbesitzer zu schaffen.

Bidirektionales Laden (V2G): Polestar arbeitet an virtuellem Kraftwerk
Obwohl viele Akteure V2G-Pilotprojekte für das nächste Jahr ankündigen, glauben Experten aufgrund bestehender Herausforderungen, dass es noch einige Jahre dauern wird, bis V2G weit verbreitet ist | Bild: Polestar

Weite Verbreitung von V2G dauert noch einige Jahre

Hinsichtlich der technischen Herausforderungen bei der Implementierung von V2G hebt Wallin hervor, dass Ladestationen mit spezieller Software ausgestattet werden müssten, die mit dem zentralen Stromnetz kommuniziere. Dadurch könne der Bedarf des Gesamtsystems zu jedem Zeitpunkt ermittelt werden. Die Herausforderungen liegen dabei in der Integration dieser Software, der Sicherstellung einer stabilen Kommunikation und der Anpassung an die unterschiedlichen Anforderungen des Gesamtsystems. Das laufende Pilotprojekt sei entscheidend, um diese Herausforderungen besser zu verstehen und entsprechende Lösungen zu entwickeln. Es sei besonders wichtig, die Infrastruktur für eine erfolgreiche V2G-Integration zu schaffen.

V2G stelle nicht nur eine technologische Innovation dar. Für bidirektionales Laden müsse auch eine Vielzahl von ökonomischen, regulatorischen und technischen Aspekten berücksichtigt werden, damit das volle Potenzial der Technologie entfaltet werden könne. Die Softwareentwicklung stelle eine der größten Herausforderungen für V2G dar, da derzeit noch nicht alle erforderlichen Kommunikationsprotokolle und -normen entwickelt sind. Insbesondere betont sie die Bedeutung von Interoperabilität, die sicherstellen soll, dass der Austausch von Daten zwischen verschiedenen Systemen auf standardisierte Weise erfolge. Angesichts der Sensibilität der Informationen über Angebot und Nachfrage von Energie warnt sie gleichzeitig vor der Notwendigkeit intelligenter Cybersicherheitsmaßnahmen.

Ein weiterer Schlüsselaspekt, den Wallin anspricht, ist die Bedeutung genauer Echtzeitvorhersagen des Energiebedarfs für die Netzstabilität, insbesondere für eine erfolgreiche Teilnahme am Flexibilitätsmarkt. Besonders notwendig sei ein stabiler rechtlicher Rahmen, der die Integration von V2G unterstützt und Fragen wie Zölle, Anreize und Doppelbesteuerung klärt. Die Frage nach der flächendeckenden Ausstattung von Fahrzeugen mit bidirektionalen Lademöglichkeiten beantwortete Wallin mit einer realistischen Einschätzung. Obwohl viele Akteure V2G-Pilotprojekte für das nächste Jahr ankündigen, glaubt sie aufgrund der bestehenden Herausforderungen, dass es noch einige Jahre dauern wird, bis V2G unter Verwendung interoperabler Normen weit verbreitet sein wird. Dies unterstreiche die Komplexität und den noch zu bewältigenden Entwicklungsprozess für eine umfassende Implementierung von V2G-Technologien.

Quellen: Polestar – Pressemitteilung vom 9.11.2023 / Springer Professional – „Polestar entwickelt ein virtuelles Kraftwerk“

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Felix Katz

Felix Katz

Felix Katz liebt alles, was vier Räder und einen oder gleich mehrere Motoren hat. Nicht nur Verbrenner, sondern vor allem Elektroautos haben es ihm angetan. Als freiberuflicher Autojournalist stromert er nicht nur fast jeden Tag umher, sondern arbeitet seit über zehn Jahren für viele renommierte (Fach-)Medien und begleitet den Mobilitätswandel seit Tag eins mit.
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Wolfbrecht Gösebert:

@Redaktion:
Kann mir vielleicht jmd. erklären, warum auf der einleitenden Polestar-Grafik zu V2G ausgerechnet die Leitung zum Hauptstromanschluß als auch die zum Fahrzeug mit Pfeil in nur EINER Richtung versehen sind? DAS sollten aber – nach meinem Verständnis jedenfalls :) – doch gerade ZWEIRICHTUNGS-Pfeile sein!?

Michael Neißendorfer:

Es gibt mehrere deutsche Start-ups und auch deutsche Autohersteller wie BMW und VW, die diese Pläne weiterhin verfolgen. So arm ist Deutschland nicht. Außerdem: Das Polestar-Projekt läuft in Schweden ; )

Tom 1:

Sowas hatte vor Jahren ein deutsches Startup in der Schublade war aber von der Regierung und der Wirtschaft nicht gewollt, jetzt machen es andere ,armes Deutschland.

Stefan:

Endlich. Auch BEV stehen hauptsächlich rum (wie Verbrenner) . Nur können BEV beim rumstehen etwas sinnvolles tun (das, was im Artikel steht und als Speicher Geld verdienen) und so den Wertverlust beim rumstehen mildern. Das können Verbrenner nicht. Die „verbrennen“ ihren Wert beim rumstehen.

Wolfbrecht Gösebert:

Aus dem Artikel:
„Angesichts der Sensibilität der Informationen über Angebot und Nachfrage von Energie warnt sie gleichzeitig vor der Notwendigkeit intelligenter Cybersicherheitsmaßnahmen.“

Warum Frau Wallin ausgerechnet vor der Notwendigkeit intelligenter Cybersicherheitsmaßnahmen WARNEN sollte, erschließt sich mir nun eher nicht … :)

Marius:

Damit V2G rasch weite Verbreitung findet, ist es umso wichtiger, dass zügig immer mehr Projekte durchgeführt werden.
Optimal wäre es für mich dann so: Man lädt in der Firma günstig über die Mittagszeit bei Überschuss und nachmittags / abends gibt man den Strom dann (ggf. gewinnbringend) wieder ab. Dass solche dynamischen Tarife und Lademöglichkeiten für Firmen bald verfügbar sein werden, halte ich jedoch für sehr unwahrscheinlich. Wenn wer Infos hat, gern teilen :)

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