Bidirektionales Laden von E-Autos: Ein Gamechanger für die Stromnetze

Cover Image for Bidirektionales Laden von E-Autos: Ein Gamechanger für die Stromnetze
Copyright ©

Shutterstock / 589906367

Michael Neißendorfer
Michael Neißendorfer
  —  Lesedauer 5 min

Durch die Fähigkeit, die Fahrzeugbatterie nicht nur zu laden, sondern auch zu entladen, können bidirektionale Elektroautos ein immenses dezentrales Speicherpotenzial für das Energiesystem bereitstellen. Schon heute mit mehr als einer Million E-Autos rollen Batterien mit einer Kapazität höher als die Summe aller deutschen Pumpspeicherkraftwerke zusammen über die deutschen Straßen.

Da häufig nur wenig Batteriekapazität für die tatsächliche Fahrleistung benötigt wird – der Durchschnitts-Deutsche fährt nur 40 km am Tag –, könnte ein Großteil für energiewirtschaftliche Anwendungsfälle genutzt werden und für die Fahrzeughalter:innen neue Erlösquellen erschließen, während das Fahrzeug steht, was im Schnitt mehr als 23 Stunden am Tag ausmacht. Diese Anwendungsfälle wurden u.a. in den Projekten Bidirektionales Lademanagement – BDL und unIT-e² – Reallabor für verNETZte E-Mobilität entwickelt und vorangetrieben. Die Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) hat die bislang wichtigsten Erkenntnisse zum bidirektionalen Laden in einer aktuellen Mitteilung zusammengefasst.

Im Rahmen der Projekte sei eine Vielzahl an bidirektionalen Anwendungsfällen identifiziert, definiert und bewertet worden. Allgemein seien die Erlöspotenziale der Anwendungen dabei stark abhängig von Fahrzeug- und Wallbox-Parametern, der Last der Liegenschaft, den Marktpreisen für Strom und dem Verhalten der Nutzer:innen. Für die Ausnutzung zeitlicher Arbitragen am Intraday-Markt seien pro Fahrzeug und Jahr beispielsweise Einsparungen von 150 bis 690 Euro möglich, so die FfE. Da die Kosten des bidirektionalen Ladens insbesondere durch eine Preissenkung bei Wallboxen in Zukunft stark sinken sollen, gehen die Studienautoren davon aus, dass sowohl Vehicle-to-Home (V2H), Vehicle-to-Building (V2B) und Vehicle-to-Grid (V2G) in Zukunft wirtschaftlich sein werden.

Attraktive Anwendungsfälle scheitern stellenweise noch an der geltenden Regulatorik

Die Wirtschaftlichkeit von V2H und damit der Eigenverbrauchsoptimierung mit der eigenen PV-Anlage sei dabei am robustesten, da sie am wenigsten von geltender Regulatorik und Preisschwankungen auf den Energiemärkten abhänge und in der Umsetzung am einfachsten sei. Speziell V2G sei jedoch gegenüber stationären Speichern aktuell noch regulatorisch schlechter gestellt. Um konkurrenzfähig zu werden, müsse die Doppelbelastung bei Steuern, Abgaben und Umlagen bei der Ausspeicherung in das öffentliche Stromnetz ausgeschlossen werden.

Die Simulationsergebnisse zeigen demnach, dass im zukünftigen kostenoptimalen Energiesystem etwa 30 Prozent der Elektroautos bidirektional sein sollten. Diese bidirektionalen E-Autos spielten dabei eine entscheidende Rolle bei der Integration erneuerbarer Energien in das Stromnetz. Sie können als Tagesspeicher dienen und somit zu einer verbesserten Integration von PV-Strom beitragen. Damit böten sie trotz der Mehrkosten für die Hardware einen entscheidenden Vorteil gegenüber E-Autos, die zwar gesteuert aber nur unidirektional laden können.

Diese Entwicklung habe auch signifikante Auswirkungen auf den Bedarf konventioneller Kraftwerke (-32 GW) sowie stationärer Batteriespeicher (-60 GWh), deren Zubau in Europa bis 2050 dadurch reduziert werden könne. Infolgedessen führe dies zu jährlichen Einsparungen von etwa 7 Milliarden Euro für das europäische Energiesystem.

Die Analysen zu den Rückwirkungen auf die Verteilnetze lassen sich in fünf Haupterkenntnisse unterteilen:

  • Die Elektrifizierung des Verkehrs- und Wärmesektors bis 2040 führe ohne Nutzung der Flexibilität bei bedarfsgeführten Betriebsweisen in 43 Prozent der Niederspannungsnetze zu einem Ausbaubedarf.
  • Dieser Ausbaubedarf werde durch gesteuertes (unidirektionales) Laden (V1G) mit dynamischen Stromtarifen, was unter der Annahme, dass alle Elektroautos daran teilnehmen, hohe Gleichzeitigkeit hervorrufe, deutlich (auf 69 Prozent der Netze) erhöht. Dynamische Stromtarife müssen ab 2025 von jedem Stromversorger angeboten werden.
  • Durch bidirektionales Laden (V2G) steigen in diesem Szenario die Ausbaubedarfe durch die höhere Flexibilität auf 71 Prozent an.
  • Eine Durchmischung der Use Cases V2H und V2G (Real; Teilnahmegrad von 30 Prozent der Gebäude) führe zu geringeren Ausbaubedarfen als das bedarfsgeführte Laden.
  • Durch gezielte Eingriffe der Verteilnetzbetreiber (nach EnWG §14a) oder dynamische Netzentgelte könne der Ausbaubedarf reduziert werden.
Netzausbaubedarf-in-der-Niederspannung
Netzausbaubedarf in der Niederspannung bis 2040 bei Optimierung der Elektrofahrzeuge und Batteriespeicher (Simulation von 1000 realen Netzen aus Bayern) // Quelle: FfE

Eine zentrale Aufgabe für kommende Forschungsprojekte werde es daher sein, netz- und marktorientierte Use Cases so zu koordinieren, dass die Kund:innen maximalen Nutzen aus der Technologie ziehen können und gleichzeitig die Netze nicht unnötig belastet werden.

Pilotbetrieb im Projekt BDL und die Umsetzung über das intelligente Messsystem

Im Pilotbetrieb mit mehr als 50 Fahrzeugen an privaten sowie gewerblichen Standorten konnten über die Dauer eines Jahres einige allgemeine und Use Case-spezifische Erkenntnisse gewonnen werden. Bidirektionale Use Cases seien gerade deshalb so attraktiv, da Fahrzeuge einen Großteil der Zeit stehen. Kund:innen sollten daher ermutigt werden, ihre Elektroautos über diese Zeiträume auch an der Wallbox anzuschließen und einen niedrigen Ziel-SoC einzustellen, um den Optimierungsspielraum für die Use Cases zu vergrößern.

Im Durchschnitt konnten die Probanden dadurch im Use Case PV-Eigenverbrauchsoptimierung 7,5 Prozent ihrer Stromkosten einsparen, da sie weniger Energie aus dem Netz beziehen mussten. Des Weiteren ergaben die Untersuchungen, dass der Gesamtwirkungsgrad im Intraday Use Case bei etwa 80 Prozent liege, was in etwa mit einem Pumpspeicherkraftwerk vergleichbar sei.

Die technische Umsetzung der Use Cases erfolgte über ein intelligentes Messsystem. Die Kommunikation über ein Smart-Meter-Gateway biete die Möglichkeit zur nahtlosen Integration in den EEBUS-Standard, wobei die Nachweisführung bereits integriert sei. Bei Tests im Laboraufbau sei eine Zuverlässigkeit von 98 Prozent bei der Übermittlung von Leistungsvorgaben festgestellt worden.

Ausblick auf unIT-e² und BDL Next

Im Projekt BDL konnte bereits die technische Umsetzung einiger Anwendungsfälle im geschützten Projektumfeld gezeigt werden. Das Projekt unIT-e² erweitert den Betrachtungshorizont um weitere, auch unidirektionale Use Cases, sowie eine ganzheitliche Betrachtung des Energiemanagementsystems inklusive elektrischer Wärmebereitstellung. Dabei komme eine Projektstruktur mit vier parallelen Umsetzungsclustern zum Einsatz, um unterschiedliche Rahmenbedingungen in den Feldversuchsgebieten abzudecken und Interoperabilität zwischen den verschiedenen Wirkketten zu demonstrieren.

Das direkte Nachfolgeprojekt BDL Next soll genau jene Lücken schließen, die in BDL offengeblieben sind und damit eine Heranführung des bidirektionalen Lademanagements an den massenfähigen Realbetrieb erreichen. Diese Lücken betreffen sowohl die Technologie als auch die regulatorischen und prozesstechnischen Grundlagen.

Dazu zähle neben der Verknüpfung mit bestehenden Marktprozessen auch der netzdienliche Betrieb der Fahrzeuge in der Praxis, um den zügigen Hochlauf der Elektromobilität durch Engpässe im Stromnetz nicht zu gefährden. So soll es gelingen, gemeinsam mit einer einfachen Systemintegration die Fahrzeugnutzenden von den Mehrwerten der Technologie zu überzeugen.

Quelle: FfE – Pressemitteilung vom 21.11.2023

worthy pixel img
Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer ist E-Mobility-Journalist und hat stets das große Ganze im Blick: Darum schreibt er nicht nur über E-Autos, sondern auch andere Arten fossilfreier Mobilität sowie über Stromnetze, erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit im Allgemeinen.
Sidebar ads

Artikel teilen:

Schreib einen Kommentar und misch dich ein! 🚗⚡👇


Frank:

Du hast recht, neue Anlagen sollen mit 4,2kW weiter betrieben werden können, nur die Altanlagen werden abgeschaltet. Entschuldigung.

Frank:

Wenn Du max. 40km fährst, solltest Du für die Umwelt mit Erdgas oder Biodiesel fahren, den CO² Rucksack der beim Bau des Akkus in die Umwelt gelangt ist, fährst Du ja nie auf null.

Frank:

Wo steht was von Drosselung ??? Es steht steuern wie alle Lastabwurfsteuerungen siehe Alu Industrie, die werden über 200mal im Jahr abgeschaltet, oder Wärmepumpen, drosseln ist nicht so einfach möglich bei den verschiedenen Verbrauchern. Aber 3,7kW ist jetzt auch nicht viel, aber Zuviel für eine Straße. Wird aber alles noch angepasst, dauert noch ein paar Jahre und dann wird auch nicht mehr gedrosselt.

Farnsworth:

Sinn ist ein Beispiel dafür, wie man mit Zahlen etwas schlecht rechnen kann. Wer sich informiert, kann sehen, wie andere Länder ihre Energiewende bestreiten. Herr Sinn argumentiert total für die Fossillobby. Die wollen ihre Plörre nämlich noch möglichst lange verkaufen. Herr Sinn liefert sinnlose Argumente, warum es sich angeblich nicht lohnt umzusteigen. Aber sehr viele Länder haben das Pariser Klimaabkommen unterschrieben.
Das Ziel ist weltweit gesetzt. Wer jetzt nicht in die entsprechenden Technologien investiert ist morgen weg vom Fenster.

Ihre Befürchtungen sind völlig irrelevant. Wenn ich mein Auto nachts für 15ct vollladen kann und morgens, wenn der Strompreis wieder bei 30ct liegt mir einen Kaffee aus dem Autoakku koche, dann mache ich das, weil es sich für mich rechnet. Der Autoakku steht eh vor der Haustür. Einen Hausakku muss man sich extra kaufen.

Farnsworth

Farnsworth:

Wer noch in den Urlaub „fliegt“ hat die Dringlichkeit der CO2 Vermeidung noch nicht verstanden.

Farnsworth

Philipp:

„Die Akkus aus Autos können vielleicht ab und zu ein paar Peaks in der Differenz zwischen Stromerzeugung und Bedarf auf kurzer Zeit Skala decken mehr aber auch nicht.“
Ja, genau das ist der Zweck und es sind nicht nur ein paar unwichtige Peaks. Für diese Peaks extra Kraftwerke vorhalten, wäre viel viel teurer und müssten von allen mitbezahlt werden.
Frage: Warum hat man schon früher Pumpspeicherkraftwerke gebaut, wenn die eh nichts für die Dunkelflaute bringen?

„Spontan mit einem voll geladenen Auto losfahren ist für die Teilnehmer an diesem Konzept dann auch Geschichte.“
Wieso? Steht dein Auto immer mit 100% voll geladen rum, weil du andauernd spontan mal 400km fährst? Und wenn ja, fährst du wohl eher
allein, denn ich kenne nur wenige die das wirklich brauchen und die fahren ALLEIN. „Spontan“ sind für mich dabei nur diejenigen 3% der Bevölkerung, die keine 2 min vorausplanen können.
Frage zu deinem früheren Verbrenner: Den hast Du sicher auch jeden abend vollgetankt, weil du in 2 min ja „spontan“ gleich zur nächsten Küste ohne Pause durchgefahren bist? Und das hast du dann auch wirklich an jedem Tag der Woche gemacht, weil du könntest ja „spontan“ die Arbeit unterbrechen und einen Küstenabstecher machen?
Ich halte das als wirklich extremes Ausnahmeargument. Wenn ich die Woche keinen Urlaub geplant habe, dann steht das Auto und fährt pro Tag nur max. 40km. Wochenende ist was anderes. Läßt sich aber alles minimals planen. Und wenn du gar nicht planen kannst, wie eigentlich die Mehrheit der Bevölkerung, dann wirst du halt nicht von den finanziellen Vorteilen einer Planung profitieren können.

Und der Sinn mag bekannt sein, hat aber neben viel Sinnvollem und Richtigem auch viel abgrundtiefen Quatsch verzapft.

Totschlagausrede für alle Unbeweglichen: „da einfach andere Marktteilnehmer das dank unserem Verzicht günstigere Öl aufkaufen und verbrennen“.
Mit der Argumentation hätten wir heute noch die Sklaverei, weil es „immer noch andere Völker gibt welche die Afrikaner versklaven und verschiffen“. Oder FCKW, oder Chemie- und Atomwaffeneinsatz oder keine Uno oder keine Gewerkschaften oder…
Diese Ausrede bringen meist diejenigen Völker die am meisten zur Umweltverschmutzung beitragen.

StormGoth:

Es geht um eine Drosselung auf 3,7kW in Zeiten, wenn die Netze nicht genug hergeben: also keine Abschaltung. Wie oft das geschehen wird ist noch nicht wirklich absehbar, außer evtl. von Dir. Wer aber von Abschaltung statt von Drosselung spricht, hat sich disqualifiziert.

Frank:

Das verstehen die Leute hier nicht, die glauben dass sie CO² einsparen, wenn sie Ökostrom laden, weil sonst der Strom vom eigenen Dach nicht ins Netz gespeist würde.

Frank:

Sorry ich hatte Dir gestern den link geschickt für das Gesetz, aber wurde das hier nicht angezeigt, aber als Geschäftsführer, kannst Du bestimmt beim Bundesministerium für Justiz selbst das Gesetz § 14a Energiewirtschaftsgesetz einsehen, oder glaubst Du ich erfinde sowas ? Wenn Du Probleme hast es zu finden bitte nochmal melden, ich könnte auch den Inhalt hier kopieren.

Akraemer:

Wie groß soll denn der Hausakku sein, damit ich das Auto zu 100 % aufladen kann? So ein Quatsch!

Ähnliche Artikel

Cover Image for Wie BMW die Serienfertigung seiner neuen E-Auto-Batterien vorbereitet

Wie BMW die Serienfertigung seiner neuen E-Auto-Batterien vorbereitet

Michael Neißendorfer  —  

Mit der Neuen Klasse startet BMW ab Ende 2025 in eine neue Ära des rein elektrischen Fahrens. Eine entscheidende Komponente: die Batterien.

Cover Image for Zum Driften geboren: Hyundai zeigt Ioniq 6 N

Zum Driften geboren: Hyundai zeigt Ioniq 6 N

Michael Neißendorfer  —  

Der Ioniq 6 N soll den Erfolg des Ioniq 5 N fortsetzen und integriert Technologien aus dem Motorsport in ein alltagstaugliches E-Auto.

Cover Image for BMW: Wachstum bei E-Autos und Plug-in-Hybriden rettet die Halbjahresbilanz

BMW: Wachstum bei E-Autos und Plug-in-Hybriden rettet die Halbjahresbilanz

Michael Neißendorfer  —  

Ohne das starke Absatzplus der elektrifizierten Fahrzeuge wäre das Minus bei BMW deutlich schmerzhafter ausgefallen.

Cover Image for Deutschland fällt bei E-Mobilität zurück, China baut Vorsprung weiter aus

Deutschland fällt bei E-Mobilität zurück, China baut Vorsprung weiter aus

Michael Neißendorfer  —  

Weltweit steigt der Anteil von E-Autos an Neuwagenverkäufen von 20 auf 25 Prozent, trotz Wachstumsschwäche in wichtigen Märkten.

Cover Image for Kia EV5: Alle Daten und Fakten zum neuen Elektro-SUV

Kia EV5: Alle Daten und Fakten zum neuen Elektro-SUV

Michael Neißendorfer  —  

Mit dem EV5 bringt Kia ein weiteres E-Auto in das beliebte Kompakt-SUV-Segment, die größte und am schnellsten wachsende Fahrzeugklasse in Europa.

Cover Image for Mazda6e: Groß, elektrisch – und kein SUV

Mazda6e: Groß, elektrisch – und kein SUV

Wolfgang Plank  —  

Erfreulich gegen den Trend ist der Mazda 6e in Sachen Karosserie unterwegs. Leider muss man sagen aber auch bei der Ladeleistung.