So gut funktioniert der Nio-Autopilot

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Nio / Press-Inform

Wolfgang Gomoll
Wolfgang Gomoll
  —  Lesedauer 5 min

Wenn es um das autonome Fahren geht, richtet sich der Blick nach China. „Die machen einfach, während die Deutschen sich in Regeln und Vorschriften ergehen“, heißt es oft. Doch wie sieht es mit den Robo-Taxen im Reich der Mitte wirklich aus? Wir haben uns in das Chaos des Shanghaier Verkehrs gestürzt und die Probe aufs Exempel gemacht.

Das autonome Fahren ist das nächste große Ding der Mobilität. Auch wenn die technologische Goldgräberstimmung einer realistischen Einschätzung gewichen ist. Mercedes hat unlängst den Drive Pilot 95 freigeschaltet, der auf baulich getrennten Fahrbahnen bis Tempo 95 km/h das Steuer übernimmt. Ende des Jahrzehnts sollen 130 km/h im Level 3 möglich sein. Allerdings braucht man dazu aktuell noch ein Führungsfahrzeug, an das sich der Pkw „anhängen“ kann.

Alles wunderbar und aller Ehren wert. Doch der Blick beim autonomen Fahren richtet sich mit einer Mischung aus Bewunderung und Neid nach China und den USA, wo Waymo bereits Robo-Taxen in San Francisco anbietet. Aber wie schaut es tatsächlich im Reich der Mitte aus? Wir haben uns hinter das Steuer eines Nio EL8 gesetzt und getestet, wie sich der Nio-Autopilot NOP+ (Navigation on Pilot) im Alltag der Millionenmetropole Shanghai schlägt. Es gibt sicher einfachere Szenarien, aber wir wollen dem System ja richtig auf den Zahn fühlen.

Klar ist: Mit ein paar Ultraschallsensoren und ein, zwei Kameras ist es beim autonomen Fahren nicht getan. Weder in China noch in Deutschland oder sonst wo. Die Robo-Autos sind rollende Supercomputer, die mit einer wahren Sensor-Armada bestückt sind. Bei Nios Elektro-SUV sind es insgesamt 33. Ganz entscheidend ist das hochauflösende Lidar (Light Detection and Ranging) mit ultralanger Reichweite. Dazu kommen unter anderem elf hochauflösende Acht-Megapixel-Kameras, Fünf-Millimeterwellen-Radare und zwölf Ultraschallsensoren. Diese Einheiten ergänzen sich zur sogenannten Sensorfusion und erfassen eine große Menge von Daten, die dann richtig interpretiert werden müssen. Nicht auszudenken, was passiert, wenn das Robo-Fahrzeug einen Hund mit einer Mülltonne verwechselt.

Zur Veranschaulichung: Das Nio Aquila-System schafft einen Datendurchsatz von acht Gigabyte pro Sekunde. Das entspricht dem Herunterladen von zwei 4K-Filmen in einer Sekunde. Das richtige Einschätzen der Fahrsituationen ist die große Herausforderung beim autonomen Fahren. Deshalb schaffen die Chips im Nio EL8 eine mächtige Rechenleistung von 1016 TOPS (Tera Operations Per Second).

Soweit die Theorie. Nio selbst ordnet sein NOP+ System (Navigate On Pilot Plus) dem autonomen Fahren des Levels 2++ zu. Doch wie sich schnell herausstellt, kann der chinesische Autopilot mehr. Shanghai ist sicher nicht die einfachste Spielwiese, um sich in die Hände eines Robo-Chauffeurs zu begeben, aber es gilt „No Risk, No Fun“. Außerdem haben wir die Hände immer am Lenkrad. Wenn auch nur leicht. Ist das mal nicht der Fall, fordert uns das System nach 15 Sekunden auf, Griffkontakt herzustellen.

Nio NOP+ Autopilot Test Cockpit
Nio / Press-Inform

Der Beginn der Testfahrt ist überraschend einfach: Man gibt ein Ziel in das Navigationssystem ein, definiert also den Weg und fährt los. Sobald der Autopilot bereit ist, das Kommando zu übernehmen, erscheint ein Symbol auf dem großen Display. Per Knopfdruck geben wir das Ruder aus der Hand und ein blauer Strahl zeigt auf der Navigationskarte die vollzogene Übergabe an. Genaue Karten sind ein Muss für das autonome Fahren. Eine Nio-Mitarbeiterin erklärt uns, dass in den großen Städten Chinas mehr als 90 Prozent der Straßen erfasst sind und dass sie den Robo-Steuermann jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit nutzt.

Wir lächeln freundlich, um uns die Skepsis nicht anmerken zu lassen. Die sollte sich aber bald in Wohlgefallen auflösen. Auf der Autobahn herrscht reges Treiben. Der Nio EL8 schwimmt locker mit. Auch wenn es mal mit 120 km/h vorangeht. Der Autopilot setzt den Blinker und überholt andere Fahrzeuge geschmeidig links, aber auch problemlos rechts – was in China erlaubt ist. Spannend wird es, wenn es an das Einfädeln oder das Abbiegen geht. Diese Herausforderungen meistert der chinesische Stromer ebenfalls. Auch wenn Nio das Level 2++ auf den Autopiloten schreibt, haben wir eher das Gefühl, auf Level 3 unterwegs zu sein. Zumal der der EL8 ohne jegliches Führungsfahrzeug agiert.

Man fürchtet nie um Leib und Leben

Wie weit der Weg zum vollautonomen Fahren noch ist und dass auch in China noch nicht alles Gold ist, was glänzt, merkt man auf den belebten Straßen der Innenstadt. Grundsätzlich läuft alles gut. Der Robo-Chauffeur erkennt rote Ampeln, ordnet sich richtig ein und biegt auch korrekt ab. Selbst die Tatsache, dass die Bus-Spur während der Rush Hour freigehalten werden muss, befolgt der Software-Algorithmus. Ziemlich beeindruckend.

Sobald aber der chinesische Verkehrs-Anarchismus die Oberhand gewinnt und zum Beispiel mitten auf der Kreuzung ein Fahrzeug sehr nahe an die linke Flanke heranfährt, reagiert das System unharmonisch, bremst abrupt bis zum Stillstand ab, „überlegt“ wie es weitergeht und kurbelt wie wild am Lenkrad. Was fehlt, ist das antizipatorische Verhalten im Zusammenhang mit dem peripheren Sehen, das erfahrene Autofahrer verinnerlicht haben. Als sich eine Tür öffnet und ein Mann auf die Straße tritt, steigt der Autopilot voll in die Eisen und weicht aus. Allerdings mit einem möglichst kleinen Lenkeinschlag, um nicht in eine andere Fahrbahn zu geraten. Die Spalte, die das Öffnen der Pforte angekündigte, hat das System ignoriert, sonst hätte es bereits vorher leicht gebremst und versucht, die Spur zu wechseln. Puuuh, alles glatt gegangen, der Blick nach hinten passt also.

Nio NOP+ Autopilot Test Autonomes Fahren
Nio / Press-Inform

Das digitale Fahrverhalten setzt sich fort, als ein anderes Auto unvermittelt plötzlich rüberzieht. Sicherheit geht vor, lautet die richtige Devise. Fehlen die Fahrbahnmarkierungen, verliert das NOP+-System bisweilen die Orientierung und der Mensch muss eingreifen. Man fürchtet aber nie um Leib und Leben. Das liegt auch daran, dass in Shanghai das Chaos Programm ist und die anderen Autofahrer mit solchen Manövern rechnen. Wichtig ist aber, dass die Software mit jedem Meter, die autonom zurückgelegt werden, dazulernt und so Fortschritte gemacht werden.

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Wolfgang Gomoll

Wolfgang Gomoll

Wolfgang Gomoll beschäftigt sich mit dem Thema Elektromobilität und Elektroautos und verfasst für press:inform spannende Einblicke aus der E-Szene. Auf Elektroauto-News.net teilt er diese mit uns. Teils exklusiv!
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Groß:

So wie Du redest müssten wir noch mit Keulen rum laufen und wir alle wären Jäger und Sammler.
Bitte blockiere kein technisches Fortschreiten aus Angst vor Fehlschlägen. Bei einer solchen Angst wie du sie beschreibst wären wir noch nicht einmal Jäger und Sammler.

Klar:

Mein Born bremst auch bis zum Stillstand – ohne Bums!

Hiker:

Genau hier scheiden sich die Geister. Ein paar Hinweise zum darüber nachzudenken. Die Systeme von Waymo und Co. können nur funktionieren auf Strecken die mittels hochauflösendem Kartenmaterial erfasst sind.

Das Kartenmaterial aber nur gerade in dem Moment aktuell ist in dem es aufgenommen wurde, sollte allgemein bekannt sein. Einen Tag später ist es bereits fehlerhaft.

Lidar ist ein Sensor der Licht aussendet das von Gegenständen zurückgeworfen wird. Das Wasser Lichtwellen bricht ist ebenfalls bekannt. Wenn es also regnet oder schneit, ist Lidar unzuverlässig weil es abgelenkt wird. Genauso verhält es sich mit Radar und Ultraschall.

Auch Kameras lassen sich natürlich beeinflussen. Hier werden aber beim Einsatz mehrerer Kameras rund ums Fahrzeug diese Störungen marginalisiert. Es entsteht ein Fotorealistisches Bild wie es nicht einmal das Menschliche Auge imstande ist so umfangreich zu erfassen. Jetzt ist es an der Software diese Information richtig zu interpretieren.

Radar, Lidar und Ultraschall sind dabei weder nötig noch hilfreich. Ganz einfach weil die Software dann noch zusätzlich Unmengen an Daten erhält, die auch noch eine erhebliche Fehlerquote enthalten können.

Urteilen Sie selbst, ob ultrateure Systeme mit einer Unmenge von störanfälligen Sensoren und hochauflösendem Kartenmaterial, einem einfachen aber effizienten System mit nur der Menge absolut nötiger Sensoren vorzuziehen ist.

Zudem ist es absolut unrealistisch, dass das gesamte Strassennetz sämtlicher Länder permanent hochaktuell gehalten werden kann. Nur schon diese Frage lässt erahnen ob diese Waymo Systeme langfristig zum Erfolg führen können.

Calitry:

Tja, das mit dem Vision only bei Tesla scheidet die Geister.
Viele in De hoffen, dass Tesla verliert. Aber nur, weil die eigenen Hersteller dies nicht können und mehrheitlich bereits aufgegeben haben.

Das dies mit „ein paar Sensoren“ nicht möglich sei ist nur die Interpretation des Autors und diese muss nicht korrekt sein.

Schauen Sie sich mal FSD13 Videos im YouTube an.
Vielleicht von TeslaTobi, diese sind auf Deutsch.
Das ist beeindruckend was da schon geht.
Ich glaube nicht, dass Radar und Lidar nötig sein wird, da die Verarbeitung dieser Daten (Punktewolken) sehr schwierig ist.
Wir werden sehen.

Liebe Grüsse und einen guten Start…

Gitsche:

Du bappst Dir also auch vor jeder Autofahrt eine zusätzliche Sensor Armada auf die Stirn?

Groß:

Ich kann Deinen Ausführungen auf keiner Weise zustimmen.
Auch hat BMW nicht vergleichbare Systeme in ihren Auto.
Mir kommt Deine Antwort sehr mit einer BMW-Brille geschrieben vor.
Die deutsche Automobil-Industrie ist bei den Assistenten so wie bei den E-Autos um Jahre zurück.
Aber gerade solche denkweise wir Du sie hier von dir schreibst bringt die deutschen Automobilindustrie nicht weiter sondern wirft sie weiter zurück.

Groß:

Das System von Nio funktioniert und wir immer besser auch wenn jetzt einige wieder versuchen chinesische Autos herunter zu reden. Aber wo bleiben öhnliche Systeme bei den deutschen Hersteller?

Gastschreiber:

So unterschiedlich sind die Eindrücke, ich bin den ET5, ET5 Touring, ET7 und EL6 gefahren. Gerade die Assistenten waren wenig überzeugend. Sehr unharmonisch im Berufsverkehr auf einer Stadtautobahn, sowohl pulsierend im Sicherheitsabstand, wie pendelnd in der Spur. Auf einer Landstraße gerne Mittelinseln anpeilen anstatt herumzufahren. Auch die Dynamik der Verkehrsverfolgung war eher träge. Aktuell finde ich hier BMW im Alltag bspw. im i5 als das hormonischste und berechnenste Modell. Es fährt auch in vielen Situationen weitestgehend so, wie ich es tun würde.
Gerde letzterer Punkt fehlt mir bei vielen Modellen noch, ein gewisser roter Faden ist für mich hier zu erkennen, dass Firmen, die unsere Straßen und die Regeln nicht so gut kennen, hier noch viel Luft nach oben haben, nicht nur Nio.

FreemanT:

EL 7 und EL 8 waren schon verdammt gut. Wenn man mal den Mut hatte an der Ampel das Auto bremsen zu lassen (bis zum Stillstand) klappte das autonome Fahren schon ganz gut. Nur 2 mal war Eingreifen nötig.

Willy:

Das ist der wichtigste Satz im Artikel: „Klar ist: Mit ein paar Ultraschallsensoren und ein, zwei Kameras ist es beim autonomen Fahren nicht getan.“ Damit wird FSD als Autonomes Fahren ab Level 3 auf bestehenden Tesla-Autos unmöglich. Und Autonomes Fahren wird aufgrund der zusätzlich verbauten Radar- und Lidarsensoren sowie Computing Power zunächst sehr teuer sein. Vermutlich werden die Chinesen aufgrund der Skalierung große Preisvorteile haben.

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