Stellantis steckt in Italien in einer tiefen Krise

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Michael Neißendorfer
Michael Neißendorfer
  —  Lesedauer 4 min

Stellantis hat in Italien, dem Heimatland seiner Konzernmarken Fiat, Alfa Romeo, Lancia und Maserati, mit mehreren Problemen gleichzeitig zu kämpfen. Wichtige italienische Gewerkschaften riefen für den 18. Oktober zu einem eintägigen Streik bei Stellantis und seinen lokalen Zulieferern auf, um gegen die rückläufige Produktion des Autoherstellers in Italien zu protestieren, wie Automotive News berichtet.

Zahlen der Gewerkschaft FIM-CISL zufolge ging die Produktion in den meisten Stellantis-Werken in Italien in der ersten Jahreshälfte um 25 Prozent zurück. „Die Situation ist schlecht, sehr schlecht“, sagte demnach Rocco Palombella von der Gewerkschaft UILM auf einer Pressekonferenz, die gemeinsam mit FIOM und FIM-CISL durchgeführt wurde, den beiden anderen großen Metallarbeiter-Gewerkschaften in Italien.

Aktuelle Prognosen von FIM-CISL gehen von etwas mehr als 500.000 Fahrzeugen aus, die Stellantis in Italien im gesamten Jahr produziert, deutlich weniger als die 751.000 Einheiten des Vorjahres. Der Betrieb in den italienischen Werken von Stellantis wurde in den vergangenen Monaten wiederholt eingestellt, hauptsächlich aufgrund der schlechten Marktnachfrage, insbesondere nach Elektroautos.

Italiens Politiker und die Gewerkschaften befürchten einen weiteren Stellenabbau in Italiens Automobilindustrie. Vor der Fusion von Fiat Chrysler und der französischen PSA-Gruppe zu Stellantis waren in den italienischen Werken des Autoherstellers noch mehr als 51.000 Menschen beschäftigt, aktuell sind es noch gut 43.000. FIM-CISL befürchtet, dass durch die aktuelle Krise 12.000 Jobs bei Stellantis gefährdet sind. Ebenso viele oder sogar noch mehr könnten in den Zulieferbetrieben verloren gehen.

Die nationalistische Regierung unter Premierministerin Giorgia Meloni steht schon seit Monaten mit Stellantis im Clinch und beschuldigt den Autohersteller, seine historischen Produktionsstätten in Italien zu vernachlässigen. Die Regierung ist in Gesprächen mit Stellantis, dem einzigen großen Autohersteller des Landes, um die italienische Produktion bis zum Ende dieses Jahrzehnts auf 1 Million Einheiten pro Jahr zu steigern. Einig ist man sich bislang nicht geworden.

Fördergelder für Batteriefabrik in Termoli werden anderweitig vergeben

Nur wenige Tage zuvor hatte Adolfo Urso, Minister für Unternehmen und ‚Made in Italy‘, eine bereits vor Monaten ausgesprochene Drohung wahr gemacht: Sollte Stellantis keinen konkreten Zeitplan für den Bau seiner Batteriezellfabrik in Termoli vorlegen, werden die für dieses Projekt reservierten EU-Mittel anderweitig vergeben. Da das Joint Venture ACC, an dem neben Stellantis auch der deutsche Autohersteller Mercedes und der Energiekonzern TotalEnergies beteiligt sind, dieser Forderung nicht nachkam, strich Urso die Zusage und will nun die mehr als 220 Millionen Euro aus den EU-Töpfen anderweitig vergeben.

Laut der Website des Ministeriums werden die für Termoli vorgesehenen Mittel auf andere Projekte umgeschichtet, die fokussiert auf die Energiewende ausgerichtet seien, und bekräftigte damit den Willen der Regierung, die Zukunft Italiens nicht allein von Stellantis abhängig zu machen. Meloni wirft Stellantis vor, Teile seiner Produktion in Billiglohnländer zu verlagern und Italien den Rücken zu kehren.

Stellantis bzw. ACC begründete sein Zaudern mit den Unsicherheiten, auf welche Technologie man bei der Zellproduktion setzen sollte. Im Juni hatte ACC eine „Pause“ beim Aufbau seiner Batteriefabriken sowohl in Italien als auch in Deutschland angekündigt, um seine Strategie angesichts der rasanten Entwicklungen im Bereich der Elektromobilität anzupassen. Das Joint Venture plane insbesondere die Entwicklung von günstigeren E-Auto-Batterien auf Basis von Lithium-Eisenphosphat-Zellen (LFP), um die steigende Nachfrage nach günstigen Elektroautos befriedigen zu können.

Ganz abgeschrieben ist die Zellfabrik in Termoli nicht. Industrieminister Urso erklärte, dass inländische staatliche Förderungen bereitgestellt werden könnten, wenn ACC zu einem späteren Zeitpunkt einen neuen Industrieplan für Termoli vorlegen kann. In einer Pressemitteilung sprach ACC die Hoffnung aus, in der ersten Hälfte des Jahres 2025 die Bauarbeiten wieder aufnehmen zu können, wenn die technischen und marktbedingten Hindernisse überwunden wurden, die das Projekt gebremst hatten. „Sobald die Verkäufe von Elektroautos in Europa steigen, sobald ich sehe, dass ich mehr Kapazität brauche, werde ich die Investition in die beiden Werke in Deutschland und Italien auslösen“, sagte Konzernchef Carlos Tavares.

Quelle: Automotive News – Stellantis unions in Italy to strike over falling output / Industriemagazin – Stellantis-Krise in Italien: 25.000 Arbeitsplätze in Gefahr / Italpassion – Stellantis-Fabrik: Die italienische Regierung macht ihre Drohung wahr / Teslarati – Stellantis loses EU funds for gigafactory in Italy

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Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer ist E-Mobility-Journalist und hat stets das große Ganze im Blick: Darum schreibt er nicht nur über E-Autos, sondern auch andere Arten fossilfreier Mobilität sowie über Stromnetze, erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit im Allgemeinen.

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Willy:

VW hat bereits die Produktion aller kleineren Modelle mit geringen Margen nach Süd- und Osteuropa verlegt. Der Polo für Europa wird jetzt sogar in Südafrika gefertigt. Die kommenden ID.2 und ID.2X werden in Spanien produziert. Ich wundere mich, wie in der Öffentlichkeit die Meinung entsteht, dass mit dem Angebot günstiger E-Autos Arbeitsplätze in Deutschland gehalten werden können. Das wird nicht passieren. Diesbezügliche Entscheidungen sind längst getroffen.

Ähnlich wird das bei Stellantis in Italien laufen. Und wenn man dann noch einen höheren Marktanteil im preiswerten Segment hat, bleibt wenig für die Produktion im teuren Westeuropa übrig.

Niko8888:

Da helfen keine Schutzzölle, wenn die Autos auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig sind und die Binnennachfrage in der EU nicht reicht, um die Produktion auszulasten.

Peter Bigge von Berlin:

Italien wird es vielleicht noch schlimmer treffen als Deutschland, weil die Produkte geringeren Ansprüchen genügen und dadurch eher austauschbar sind.
Auch hier wurde der Trend verpennt, die Kundschaft ist verunsichert und wartet ab.

Daniel W.:

Das Problem von geringerer Produktion, Arbeitsplatzabbau und Werkstillegungen dürfte wohl nach und nach fast alle europäischen Autohersteller betreffen.

Ich habe schon mehrfach den Vergleich mit der deutschen Unterhaltungselektronik genannt, die musste der günstigeren Konkurrenz aus Asien weichen.

Wenn kein Wunder geschieht, dann dürfte vermutlich bis zum Ende des Jahrzehnts die Epoche der europäischen Autoproduktion zu Ende gehen.

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