Ladeinfrastruktur: Rückt Deutschland vom Millionen-Ziel ab?

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Michael Neißendorfer
Michael Neißendorfer
  —  Lesedauer 3 min

Die deutsche Regierung soll ihr Ziel, bis 2030 eine Million öffentliche Ladepunkte für Elektroautos aufzubauen, nicht mehr in aller Konsequenz fortführen. Das berichtet Bloomberg unter Berufung auf Regierungskreise. Ein Sprecher des Verkehrsministeriums erklärte jedoch auf Anfrage, dass das Millionen-Ziel immer noch die offizielle Maßgabe sei.

Die Abschwächung des Ziels rühre den mit den Diskussionen vertrauten Personen daher, dass E-Fahrer:innen es erfahrungsgemäß vorziehen, ihre E-Autos zu Hause zu laden. Die Heimladequote liegt unterschiedlichen Befragungen zufolge etwa zwischen 80 und 90 Prozent. Zudem spiegle das Ziel, das 2021 als Teil des Vertrags der Regierungskoalition festgelegt wurde, nicht den technologischen Fortschritt und die sich verändernden Präferenzen beim Laden wider. So bestehe das Risiko, dass viele öffentlich errichtete Ladestationen kaum genutzt würden.

Deutschland hat etwa 85.000 öffentlich zugängliche Ladepunkte, fast ein Fünftel davon sind besonders flotte Schnellladestationen. Deutlich höher ist die Zahl an privaten Lademöglichkeiten. Bloomberg schreibt, dass auf jeden öffentlichen Ladepunkt etwa zehn Wallboxen im nicht-öffentlichen Bereich kämen. Das „Millionen-Ziel“ wäre im privaten Bereich also beinahe schon erreicht. Die Regierung habe nicht damit gerechnet, dass diese Zahl so hoch ausfällt.

Diese Verschiebung zeigt einmal mehr einen wichtigen Aspekt in der Herausforderung, vor der viele Länder bei der Planung ihrer öffentlichen Infrastruktur stehen. Politisch festgezurrte Masterpläne zeugen zwar von der Motivation, die Antriebswende zu beschleunigen. Das Verhalten der Endnutzer:innen allerdings lässt sich nicht wirklich planen.

In den vergangenen Monaten hatten schon mehrere Expert:innen, Unternehmen und Berechnungen gesagt, dass das Millionen-Ziel für die öffentliche Ladeinfrastruktur über das Ziel hinaus schießt. Es basiert auf einer Studie aus dem Jahr 2020, an der relevante Akteure aus der Automobilindustrie, dem Energiesektor, der Wissenschaft und der Politik beteiligt waren. Bereits dieser Bericht sah den Bedarf von einer Million Ladepunkte nur in einem der vier von ihm bewerteten Szenarien, während die drei anderen Szenarien von einem geringeren Bedarf ausgingen.

Das Szenario, das dem Millionen-Ziel zugrunde liegt, geht von einem Anteil des öffentlichen Ladens von 40 Prozent sowie von einem Anteil an AC-Ladern von 90 Prozent aus, was die aktuelle Realität nicht korrekt abbildet. In einem weiteren Szenario, das am ehesten dem Status Quo entspricht, beträgt der Anteil des öffentlichen Ladens nur 15 Prozent. In diesem Szenario würden schon 360.000 öffentliche Ladepunkte bis 2030 ausreichen.

Das Millionen-Ziel berücksichtigt nicht die enormen Entwicklungen sowohl auf der Fahrzeugseite als auch auf der Ladestationsseite und ist daher technologisch veraltet“, sagte Kerstin Andreae, Vorsitzende der Energie-Lobbygruppe BDEW, die damals zu der Studie beigetragen hatte. Stefan Gelbhaar, Leiter und Sprecher der AG Mobilität der Grünen, teilte mit: „Es ist wichtig, ein Ziel immer und immer wieder zu prüfen, vor allem im Hinblick auf technische Entwicklungen.“

Quelle: Bloomberg – Germany to Walk Back Charging Goal as People Plug EVs at Home / t3n – Gibt Deutschland seine Ziele für den Ausbau der Ladeinfrastruktur auf?

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Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer ist E-Mobility-Journalist und hat stets das große Ganze im Blick: Darum schreibt er nicht nur über E-Autos, sondern auch andere Arten fossilfreier Mobilität sowie über Stromnetze, erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit im Allgemeinen.
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Johannes:

Das liegt vielleicht auch daran, dass laden außerhalb von Zuhause vor allem bei AC völlig überteuert ist. Im weitern gibt es auch noch die welche nicht Zuhause laden können aber evtl. Auf der Arbeit für einen Fairen Preis. Fair sind die Preise für AC definitiv nicht vor allem mit der Vergütung über die THG Quote

Kliko:

Die Deutschen waren schon immer komisch

Philipp:

Nahezu alle Mietwohnungen die 1960 oder später gebaut wurden haben einen Stellplatz (wegen Stellplatzverordnung). Wenn dieser nicht genutzt oder zweckentfremdet wird, ist das dann erst einmal die Entscheidung des Mieters.

Die Verbleibenden ohne Stellplatz sind meist so tief in den Altstädten, dass es eh zweifelhaft ist warum man dort ein Auto benötigt.

Die Frage ist: Ist die Anzahl der Betroffenen wirklich so hoch oder nur aufgebauscht. Echte Zahlen zu „soundsoviel Prozent haben gar keine Stellplatzmöglichkeit und BENÖTIGEN ein Auto“ habe ich keine gesehen.

Und ja, ich habe jahrelang in Innenstädten ohne Stellplatz gelebt (Häuser vor 1960, schöne Altstadthäuser).
Ich hatte zu keinem Zeitpunkt ein Auto benötigt, aber trotzdem eins gehabt. Meine Standkosten habe ich dabei der Allgemeinheit aufgebürdet.

Wolfbrecht Gösebert:

Aus dem Artikel:

„Deutschland hat etwa 85.000 öffentlich zugängliche Ladepunkte […] Deutlich höher ist die Zahl an privaten Lademöglichkeiten. Bloomberg schreibt, dass auf jeden öffentlichen Ladepunkt etwa zehn Wallboxen im nicht-öffentlichen Bereich kämen.“

Bei einer sorgfältigeren Betrachtung als im Artikel würde sich zeigen: Insbesondere in den engeren Ballungräumen sind die privaten Lademöglichkeiten deutlich unterrepräsentiert.
In Verbindung mit künftig preiswerteren eAutos, die auch mit kleineren Einkommen „leistbar“ sind, würden aber gerade dort mehr öffentliche Ladepunkte erforderlich sein:

  • DC-Schnellladepunkte an POIs – also dort, wo man sowieso z.B. bis zu einer Stunde steht und
  • AC-Lader an den Wohn- und Abstellbereichen privater PKWs, wo auch die Vielzahl ermöglicht, die Fahrzeuge länger stehen zu lassen.

Perspektivisch sollten besonders die Letzteren über eine (AC-)Bidi-Funktion (V2G) verfügen und so besonders preiswerten Strom durch Netzdienlichkeit ermöglichen.

Robert:

„Die Heimladequote liegt unterschiedlichen Befragungen zufolge etwa zwischen 80 und 90 Prozent“ das Betrifft aber nur die die zuhause laden können in der Stadt und bei Mietwohnungen ist das in großes Problem und für diese Benötigen wir die vielen Ladepunkte an öffentlichen Parkplätzen die von den Mietern und Anwohnern als Stellplatz für die Nacht genutzt werden. Problemlos über Nacht mit niedriger Leistung (und vor allem Preisgünstig und nicht diese Marspreise wie sie an den HPCs derzeit verlangt werden) laden können

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