Ford BlueCruise: Hände weg vom Lenkrad

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Ford | Ford Entwicklungsingenieur Pradeep Nold

Wolfgang Plank
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  —  Lesedauer 4 min

Zuletzt war es ein wenig ruhig geworden um die Vision des tatenlosen Dahinrollens. Dabei herrschte lange Zeit große Euphorie unter den Herstellern. Das selbstfahrende Automobil sei nur mehr eine Frage der Zeit, hieß es allenthalben, sehr bald schon werde man tiefenentspannt von A nach B reisen – den Blick auf E-Mails oder Video-Streams gerichtet, keinesfalls aber auf den ermüdenden Straßenverkehr. Chauffeur Chip, so die Verheißung, werde es richten.

Doch die Begeisterung der Kunden hält sich in Grenzen. Die moderne Technik führt zu happigen Preisen, aufpassen muss man in aller Regel trotzdem noch – und alle paar Sekunden mahnen Warntöne und Blinksignale, man möge doch gefälligst wieder die Hände ans Lenkrad legen. Gerade mal die Top-Baureihen von Mercedes verfügen hierzulande über eine Zulassung nach Level 3. Und das auch bloß bis Tempo 60. Autonomes Fahren haben sich die meisten dann doch irgendwie anders vorgestellt.

Ford

Immerhin das mit dem Griff ans Lenkrad hat sich nun weitgehend erledigt. Der Autobauer Ford hat nach Großbritannien jetzt auch in Deutschland die Freigabe für sein System BlueCruise erhalten. Eine Art Level 2+. Der Fahrer kann im Wortsinn die Hände dauerhaft in den Schoß legen – aufmerksam bleiben muss er allerdings immer noch. Das überprüft eine Infrarot-Kamera. Blickt man länger als sechs, sieben Sekunden nicht nach vorne, schlägt das System Alarm. Wird die Warnung ignoriert, bremst der Wagen sich nach und nach auf Schrittgeschwindigkeit ein.

Vorerst ist BlueCruise ausschließlich für Autobahnen freigegeben. Da, wo es – von ein paar Geisterfahrern abgesehen – keinen Gegenverkehr gibt, keine Radfahrer und wenig sonstige Überraschungen. 95 Prozent des deutschen BAB-Netzes gibt Ford als verfügbar an – der kleine Rest verteilt sich auf Tunnels oder besonders schwierige Verkehrsführungen. Selbst die allermeisten Baustellen und abgenutzte Fahrbahnmarkierungen meistert die Technik mühelos. An ihre Grenzen kann sie allerdings bei Schlagregen oder extremem Schneefall kommen. Bedingungen also, bei denen die Hände ohnehin am Lenkrad sein sollten.

Ansonsten basiert BlueCruise auf den üblichen Voraussetzungen. Eine Frontkamera erfasst Umgebung, Geschwindigkeitsbegrenzungen und sich verändernde Verkehrssituationen. Auf dieser Basis hält das System die Spur, wahrt Tempo und Abstand, bremst bis zum Stillstand und erkennt auch Stop-and-go-Verkehr. Nur den Fahrstreifen muss man noch von Hand wechseln. Beruhigend: Fährt rechts ein Lkw, gibt BlueCruise die Mitte der benachbarten Spur auf und zirkelt den Wagen des größeren Abstandes wegen eher zum linken Rand.

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Bei einer ersten Testfahrt auf der A57 bei Dormagen arbeitet BlueCruise einwandfrei. Das Problem ist eher der Mensch. Gar nicht so leicht, auf dem Fahrersitz den Kopf lange genug zur Seite zu drehen oder den Blick starr in den Fußraum zu richten, um die Grenzen zu testen. Schielt man nämlich Richtung Straße, registriert die Überwachungskamera Aufmerksamkeit. Dabei besteht zu Zweifeln kein Anlass. Mehr als 175 Millionen unfallfreie Kilometer haben Autos der Marken Ford und Lincoln in den USA und Kanada seit 2021 schon im BlueCruise-Modus abgespult. Weitere 160.000 kamen bei Testfahrten in Europa dazu.

Als erstes und bislang einziges Modell in Deutschland verfügt der elektrische Mustang Mach-E über das neue System. Die notwendige Hardware ist ab sofort serienmäßig verbaut, ältere Fahrzeuge können nachgerüstet werden, sofern damals das Technologie-Paket geordert wurde. Die zugehörige Software wird hier wie dort per Over-the-Air-Update aufgespielt. Noch offen ist die Frage der Bezahlung. Derzeit favorisiert man bei Ford eine kostenlose Schnupperphase, im Anschluss daran soll BlueCruise monatlich buchbar sein – ganz einfach per App.

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Die technische Seite dürfte ohnehin das Einfachste bei BlueCruise gewesen sein – die organisatorische ist klar komplizierter. Für die Zulassung und die Erteilung der notwendigen Betriebserlaubnis brauchte es schließlich auch das Okay von EU-Kommission, Kraftfahrtbundesamt und Bundesverkehrsministerium. Aus den Erzählungen der Ingenieure lässt sich heraushören, dass die große Bürokratieabbau-Offensive dort eher noch nicht begonnen hat.

Und wie soll es weitergehen mit BlueCruise? Konkrete Aussagen zu weiteren Fahrzeugen und nächsten Schritten in Europa lassen sich den Verantwortlichen nicht entlocken. Man dürfe aber getrost davon ausgehen, sagt Ford-Sprecher Ralph Caba, dass der gewaltige Aufwand ganz sicher nicht nur für ein Modell und zwei Länder betrieben wurde. Das Modell „Hände weg vom Lenkrad“ dürfte also Schule machen.

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Wolfgang Plank

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Wolfgang Plank ist freier Journalist und hat ein Faible für Autos, Politik und Motorsport. Tauscht deshalb den Platz am Schreibtisch gerne mal mit dem Schalensitz im Rallyeauto.
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ID.alist:

Es gibt ein Grund wieso das Mercedes L3-System momentan nur noch bis 60 km/h funktioniert.
https://unece.org/media/press/368227
Aber es dauert nicht mehr lange.

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