Mit einiger Verzögerung kommt der türkische Autobauer Togg nach Deutschland und bringt mit dem vollelektrischen SUV T10X sowie der E-Limousine T10F gleich zwei Fahrzeuge mit. Das Start-up setzt auf eine schlanke Struktur statt eines klassischen Händlernetzes und will so punkten.
Warum Deutschland als Erstes? Diese Frage stellt man sich unwillkürlich, wenn man über die Togg-Expansionspläne nachdenkt. Zuerst Deutschland, dann Frankreich und Italien. Also nicht die Elektromobilitätsbastionen wie die Niederlande oder die skandinavischen Länder, sondern direkt in die Höhle des Löwen. Ein Grund liegt auf der Hand: In Deutschland leben rund 2,5 bis drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln. Eine große potenzielle Kundschaft.
Hinzu kommt: Deutschland ist der Prüfstand. Wer hier besteht, hält auch in Europa stand. Der Start folgt einem bewusst gesetzten Takt: Am 29. September beginnt der Verkauf des vollelektrischen SUV Togg T10X und der E-Limousine T10F in Deutschland. Zum Preis schweigt Togg noch, schließt aber eine Rabattschlacht aus: Laut Togg-Chef Gürcan Karakaş will man sich „im oberen Mittelfeld“ positionieren und sich an den europäischen Marken orientieren. Mutig.
Der Doppelschlag soll möglichst viele Käufer für die türkische Marke gewinnen, der Markteintritt folgt einem klar definierten digitalen Stakkato. „Wir beginnen mit dem Direktvertrieb über die Trumore-App“, kündigt Togg-CEO Gürcan Karakaş an. Dabei orientiert sich der türkische Autobauer an Tesla: Es gibt keine klassischen Händler; die App bündelt alles – Bestellung, Bezahlung, Servicetermine, drahtlose Software-Updates (Over-the-Air) und später auch Ladedienste. Klingt schlüssig, aber das fehlende Händlernetz macht den chinesischen Autobauern in Deutschland zu schaffen. Warum das bei Togg anders sein sollte, bleibt abzuwarten.
Auch Togg muss rechnen. Deswegen setzen die Türken zunächst auf eine schlanke Struktur mit einem Europa-Hub in Stuttgart, einem mobilen Erlebniszentrum und mindestens drei Servicestationen. Wo die stehen? Darüber schweigt Togg noch. Vermutlich in Städten wie Berlin, München, Frankfurt und Düsseldorf. Der Service läuft nach dem Prinzip: „Partner statt Paläste“.
Der Heimatmarkt liefert die Blaupause für Togg
Die Blaupause liefert der Heimatmarkt. „In der Türkei machen wir das in einem Mischmodell. Wir haben eigene, von uns investierte Servicekapazitäten. Gleichzeitig arbeiten wir mit der Bosch-Car-Service-Organisation. Dieses Modell werden wir auch auf Europa ausweiten. In Europa, in Deutschland, ist das aus unserer Sicht sogar noch einfacher, weil Europa bei unabhängigen Mehrmarken-Werkstattkonzepten weiter ist“, sagt Gürcan Karakaş. Die Vorteile leuchten ein, zumindest auf dem Papier: Die Abdeckung ist gewährleistet, die Reaktionszeiten kurz. Und das ohne die Fixkosten eines eigenen dichten Betriebsnetzes. Für Flottenkunden sind planbare Prozesse, kurze Standzeiten und transparente Kosten wichtiger als jede prunkvolle Glasfassade. Genau hier sieht Togg die Chance gegenüber etablierten Volumenanbietern.
Togg geht das Laden pragmatisch an. In Deutschland erfolgt der Start über Roaming; Reservierung, Freischaltung und Abrechnung laufen über die Trumore-App. Partnerschaften sind Teil des Konzepts. „In der Türkei betreiben wir Ladepunkte etwa mit Shell – diese Erfahrung tragen wir nach Europa“, erläutert Karakaş. Ob und wo Ladesäulen der eigenen Schnelllademarke Trugo in Deutschland installiert werden, richtet sich nach Nutzung und Kosten. Am Anfang zählt die Verfügbarkeit der Stromtankstellen.
Das zeigt, dass der türkische Autobauer sein Schicksal selbst in Hand nehmen will. Das gilt vor allem für die Batterie. In Gemlik produziert Siro, das Gemeinschaftsunternehmen von Farasis und Togg, derzeit Module und Akkupakete. Die Zellfertigung befindet sich im Aufbau und soll nächstes Jahr beginnen. Die Pläne sind ambitioniert: Die Gigafactory soll eine zweistellige Zahl liefern. Parallel dazu wächst die Fahrzeugfabrik: Aktuell liegt die Jahreskapazität bei rund 100.000 Einheiten, mit zusätzlichen Baureihen soll sie auf etwa 175.000 ausgebaut werden. Diese hohe vertikale Integration und die kurzen Wege sollen die Kosten niedrig halten.
Togg ist besonders stolz auf das digitale Ökosystem und die eigenen Apps. Auch das Betriebssystem wurde selbst entwickelt. Funktionen lassen sich als Pakete freischalten. Funktionen lassen sich als Pakete freischalten. Das soll Versions-Wildwuchs vermeiden. Anscheinend hat der türkische Autobauer beim Scheitern der hauseigenen Softwareschmiede Cariad von Volkswagen genau hingeschaut. Einfrierende Displays und ausfallende Funktionen sorgen für Frust beim Kunden. Und das ist die härteste Währung. Auf dem Papier klingt der Togg-Plan schlüssig, entscheidend bleibt die Umsetzung in der Praxis.