„Wir wachsen mit Bedacht“ – Nio über den Kurs in Deutschland

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Anne Großmann Fotografie | David Sultzer (NIO Deutschland)

Sebastian Henßler
Sebastian Henßler
  —  Lesedauer 7 min

Die Zahl der Neuzulassungen von Nio in Deutschland ist zuletzt deutlich gesunken. Doch David Sultzer, General Manager Deutschland, sieht darin keinen Rückschritt, sondern eine Phase der Konsolidierung. Statt auf kurzfristige Volumensteigerung setzt Nio auf nachhaltiges Wachstum, Effizienz und eine stärkere Fokussierung auf Qualität und Kundenerlebnis. Nach Jahren intensiver Investitionen in Marke, Infrastruktur und Community geht es nun also darum, Prozesse zu optimieren und die Marke im anspruchsvollen deutschen Markt langfristig zu verankern.

Im Gespräch zeigt Sultzer, wie Nio mit Partnern wie EnBW und FreeNow neue Zugänge schafft – etwa über Taxis, die im Alltag zur fahrenden Visitenkarte der Marke werden. Er spricht über die Bedeutung der Akkutauschstationen, die künftig auch Teil des Energiesystems werden könnten, und stellt klar, dass Berichte über finanzielle Schieflagen unbegründet sind. Mit einer europaweiten Expansion und der Zielmarke „schwarze Null“ im vierten Quartal unterstreicht Nio seine Ambition, sich als fester Bestandteil der Mobilitätslandschaft zu etablieren.

Sebastian Henßler, Elektroauto-News: Laut KBA wurden von Januar bis September 2025 nur 191 Nio-Neuzulassungen in Deutschland registriert – rund 34 Prozent weniger als im gleichen Zeitraum 2024 (289). Woran liegt dieser Rückgang aus deiner Sicht?

David Sultzer, General Manager Nio: Der deutsche Markt ist sehr wettbewerbsintensiv und aktuell stark von Preisdruck und zurückhaltender Nachfrage geprägt, das spüren alle Hersteller. Nio setzt deshalb bewusst auf nachhaltiges, profitables Wachstum statt auf kurzfristige Volumensteigerung. Nach zwei Jahren des Aufbaus und der massiven Investition in Marke, Infrastruktur und Kundenerlebnis haben wir uns 2025 bewusst dafür entschieden, alle Prozesse genau anschauen und Schritt für Schritt an den Stellschrauben arbeiten, die ein langfristiges Wachstum möglich machen. Dass das kein einfacher und schneller Prozess ist, war mir klar und wir befinden uns auf einem guten Weg.

Unser Ziel ist es, die Nio Experience stetig zu verbessern und unsere Community Schritt für Schritt zu vergrößern. Wir wachsen mit Bedacht, aber mit klarer Perspektive.

Vor diesem Hintergrund: Welche Maßnahmen sind nötig, um die Markenbekanntheit zu steigern und mehr Kund:innen in Deutschland für Nio zu gewinnen?

In Deutschland verfolgen wir eine langfristige Strategie, die nicht ausschließlich auf kurzfristige Verkaufszahlen ausgerichtet ist. In den vergangenen vier Jahren haben wir mit unserem Netzwerk aus Power Swap Stations, Nio Houses und Servicepartnern eine solide Grundlage geschaffen.

Unsere Stärke liegt in der Kombination aus Fahrzeug, Infrastruktur und Service – und in der aktiven Einbindung unserer Community. Wir verstehen unsere User als Teil des Ökosystems, nicht als reine Kund:innen. Diese Authentizität und Nähe sind entscheidend, um die Marke nachhaltig aufzubauen.

Ein zentraler Baustein ist die Ladeinfrastruktur. In Hamburg habt ihr nun die 21. Power Swap Station eröffnet – die zweite in einer deutschen Großstadt. Was macht diesen Standort aus deiner Sicht besonders relevant?

Hamburg ist ein Leuchtturmprojekt für Elektromobilität im urbanen Raum. Fast jedes fünfte Taxi fährt hier bereits elektrisch, und Nio ist aktiver Partner des Projekts Zukunftstaxi. Mehr als 40 unserer Fahrzeuge sind in der Stadt im Einsatz – gemeinsam mit Partnern wie FreeNow. Unsere Power Swap Station in Hamburg bietet dabei einen echten Wettbewerbsvorteil: Innerhalb von fünf Minuten ist das Fahrzeug wieder einsatzbereit. Keine Ladepausen, keine Schichtunterbrechungen – das ist Alltagstauglichkeit im besten Sinne.

Gerade im urbanen Raum nutzt das Taxigewerbe die Technologie bereits. Wie sehr können Taxiunternehmen dazu beitragen, die Alltagstauglichkeit und Sichtbarkeit von Nio zu beweisen?

Taxis sind ein idealer Weg, um Menschen im Alltag mit unserer Marke in Kontakt zu bringen. Wer mit einem Nio fährt, erlebt sofort das Design, die Qualität und das Nutzererlebnis. Gemeinsam mit Partnern wie FreeNow schaffen wir so einen niedrigschwelligen Zugang, der Vertrauen und Interesse weckt – gerade bei Menschen, die Elektrofahrzeugen bisher mit Zurückhaltung begegnen.

Auch die Taxiunternehmen, die ein Nio-Modell einsetzen und zugleich Freenow Partner sind, profitieren von Sonderkonditionen und Vorteilen bei beiden Unternehmen. Darüber hinaus teilt Freenow seinen Fahrgästen bei der Buchung des Services Taxi Premium in Hamburg ausschließlich Nio Fahrzeuge zu.

Dennoch stagniert der Ausbau: Seit April kam in Europa keine neue Station hinzu. Welche Schritte plant ihr, um das Netz wieder zügiger wachsen zu lassen?

Im September haben wir zuletzt eine neue Station in Hamburg eröffnet. Der Ausbau läuft kontinuierlich, auch wenn wir gezielt dort investieren, wo Swap den größten Mehrwert bietet – in Ballungsräumen und an wichtigen Verkehrsknoten.

Parallel investieren wir gemeinsam mit Partnern wie EnBW in Schnellladeparks. Swap und Schnellladen ergänzen sich hier und sorgen dafür, dass unsere User überall eine Lösung finden. Unser Prinzip bleibt Qualität vor Quantität – jede neue Station ist Teil eines nachhaltigen, intelligent geplanten Netzwerks.
Zur Wahrheit gehört aber auch dazu, dass die Nachfrage auch das Angebot bestimmt. Unsere Community muss weiter wachsen, damit wir gemeinsam den Ausbau des Netzes und des Service schneller vorantreiben können.

Gleichzeitig wird immer wieder die Frage gestellt, ob sich das Engagement in Europa überhaupt lohnt. Wie bewertest du die aktuelle wirtschaftliche Tragfähigkeit von Nio in diesem Markt?

Das Marktumfeld in Europa ist anspruchsvoll, keine Frage. Wir haben in den letzten Jahren viel investiert und mit unserem D2C-Modell wichtige Erfahrungen gesammelt. 2025 erweitern wir unser Netzwerk bereits um Märkte wie Belgien, Österreich, Ungarn, Griechenland und Portugal. 2026 folgen Tschechien, Polen und weitere Länder. Diese Expansion ist ein klares Signal: Wir glauben an Europa und bauen hier langfristig auf. Wir glauben an unser Konzept, unsere Autos und unsere Vision.

In Medienberichten ist sogar von einem Kampf ums Überleben die Rede. Wie stabil ist Nio in Deutschland und Europa tatsächlich aufgestellt?

Berichte, wonach William Li gesagt habe, Nio „kämpfe ums Überleben”, sind falsch. William hat keine solche Aussage getroffen – die Worte wurden aus dem Zusammenhang gerissen. Tatsächlich erklärte William Li, dass Nio in einem hart umkämpften Markt tätig ist, der schwierige, aber notwendige Entscheidungen erfordert – wie Preisanpassungen und eine schärfere Produktpalette. Er betonte, dass das globale Team von Nio die richtigen Maßnahmen ergreift, um die Zukunft des Unternehmens zu gestalten, mit dem klaren Ziel, im vierten Quartal die Gewinnzone zu erreichen.

Unsere aktuellen Vertriebszahlen zeigen, dass wir auf einem guten Weg sind. Im September haben wir 34.749 Fahrzeuge (64,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr) ausgeliefert und damit einen neuen Monatsrekord aufgestellt. Im dritten Quartal 2025 haben wir insgesamt 87.071 Fahrzeuge ausgeliefert, 40,8 Prozent mehr als im Vorjahr.

Partnerschaften gelten als Schlüssel, um das Geschäftsmodell zu sichern. Welche Rolle spielen dabei Kooperationen mit Batterie- oder Energieunternehmen?

Partnerschaften sind zentral für unsere Strategie – sei es in der Entwicklung unserer Modelle oder bei der Energieinfrastruktur. Ein gutes Beispiel ist unsere Kooperation mit EnBW, wo eine Swap Station direkt neben dem ersten urbanen Schnellladepark der EnBW liegt. So nutzen wir Flächen effizient und schaffen echten Mehrwert für Kund:innen. Weiterhin hatten wir in der Vergangenheit auch schon eine Kooperation mit RWE, wobei die Stromversorgung mit grünem Strom für alle Nio Liegenschaften von RWE übernommen wurde.

Diese Art von Kooperationen sind auch in Zukunft wichtig, um unseren Usern die beste User-Experience zu bieten. Im Übrigen haben wir gerade ein neues Allzeithoch bei der User Bewertung erreicht und stehen bei einem maximalen Score von 5 Sternen bei 4,78 in der Zufriedenheit der User.

Eure Swap-Stationen könnten auch eine Funktion im Energiesystem übernehmen, etwa beim Abfedern von Lastspitzen. Wie wichtig ist dieses Thema für euer künftiges Geschäftsmodell?

Das Thema Energiemanagement ist für uns hochrelevant. Unsere Power Swap Stations verfügen über große Batteriespeicher, die perspektivisch auch ins Stromnetz integriert werden können – etwa um Lastspitzen abzufedern oder Energie zwischenzuspeichern. Mit einzelnen PSS in Europa befinden wir uns bereits im Testbetrieb und uni- wie bidirektionales Laden unserer PSS ist technisch möglich.

Bidirektionales Laden ist ein essenzieller Mehrwert, den die E-Mobilität bietet und der bis heute zu wenig Aufmerksamkeit erfährt, im Vergleich zum Nutzen, den es für Verbraucher:innen und das Stromnetz hat. Langfristig können die PSS eine aktive Rolle im Energiesystem spielen und sind somit ein wichtiger Baustein unseres Nachhaltigkeitsansatzes.

Abschließend: Welche konkreten Ziele setzt sich Nio für den deutschen Markt in den kommenden fünf Jahren – und was muss geschehen, damit diese erreicht werden können?

Unser kurzfristiges Ziel ist klar: Im vierten Quartal global die schwarze Null zu erreichen. Langfristig wollen wir in Deutschland und Europa stabil wachsen – mit einem klaren Fokus auf Qualität, User Experience und Profitabilität. Dafür werden wir unsere Infrastruktur weiter ausbauen, die Marke stärken und die Zusammenarbeit mit Partnern vertiefen. Unser Anspruch bleibt, Nio als festen Bestandteil der Mobilitätslandschaft zu etablieren.

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Sebastian Henßler

Sebastian Henßler

Sebastian Henßler hat Elektroauto-News.net im Juni 2016 übernommen und veröffentlicht seitdem interessante Nachrichten und Hintergrundberichte rund um die Elektromobilität. Vor allem stehen hierbei batterieelektrische PKW im Fokus, aber auch andere alternative Antriebe werden betrachtet.

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