Michael Jost nimmt sich Zeit, wenn er über die Zukunft spricht. Seine Sätze sind klar, ruhig und durchdacht. Er argumentiert nicht aus der Perspektive eines ehemaligen Konzernstrategen, sondern als jemand, der den tiefen Wandel der Mobilität als gesellschaftliches Projekt versteht. „Wir müssen Mobilität neu denken“, sagt er. „Es geht nicht mehr nur um Autos, sondern um das Zusammenspiel von Energie, Daten, Infrastruktur und Lebensqualität.“
Jost sieht eine Industrie, die sich in einem historischen Umbruch befindet, wie er beim Gespräch in München gegenüber Elektroauto-News Herausgeber Sebastian Henßler erklärt. „Wir stehen am Beginn einer neuen Mobilitätsökonomie. Das bedeutet: weg vom Produktdenken, hin zu einer Welt, in der der Zugang wichtiger ist als der Besitz.“ Mobilität werde künftig nicht mehr über PS, Karosserien oder Ausstattung definiert, sondern über Verfügbarkeit, Einfachheit und Nachhaltigkeit. „Menschen wollen sich bewegen – nicht ein Auto besitzen.“
Er beschreibt diesen Wandel als tiefgreifend und unumkehrbar. „Das traditionelle Modell – ich kaufe mir ein Auto, tanke es, fahre – wird verschwinden. Die nächste Generation will Mobilität, aber keine Verpflichtung. Sie will buchen, nicht kaufen. Teilen statt parken.“
Aber die Identifizierung mit einer Marke, die die jeweiligen Bedürfnisse am besten erfüllt, wird weiter gewählt. Die Marke des Vertrauens oder auch Best Buddy. Das heißt: Marken gewinnen an Bedeutung.
„Der Markt der Zukunft wird sich radikal neu ordnen“
Mit Blick auf die kommenden zehn Jahre zeichnet Jost ein Bild, das weit über klassische Prognosen hinausgeht. „Bis 2035 wird sich der Automobilmarkt vollständig neu sortieren. Viele Marken, die wir heute kennen, wird es nicht mehr geben. Neue Akteure werden entstehen – solche, die den Wandel nicht nur managen, sondern gestalten.“
Er unterscheidet drei zentrale Kräfte, die den Markt der Zukunft prägen werden: „Erstens die traditionellen Hersteller, die versuchen, ihre Geschäftsmodelle zu transformieren. Zweitens datengetriebene Technologieunternehmen, die Mobilität als Teil eines digitalen Systems begreifen. Und drittens spezialisierte Dienstleister, die Mobilität als Service organisieren – flexibel, vernetzt, integriert.“
Die Folge sei eine neue Balance der Macht. „Wer in diesem Dreieck keinen Platz findet, wird Schwierigkeiten haben. Der Wettbewerb verschiebt sich von Stückzahlen zu Systemen.“ Für Jost ist das kein dystopisches Szenario, sondern die logische Konsequenz einer beschleunigten Transformation. „Wir erleben gerade eine Konsolidierung des Marktes. Marken, die keine klare Identität oder keinen erkennbaren Nutzen für den Kunden bieten, werden verschwinden. Das ist keine Krise, sondern Evolution.“
Er verweist auf die Parallelen zu anderen Branchen. „Im Mobilfunk hat am Ende nicht der Anbieter überlebt, der das beste Gerät gebaut hat, sondern derjenige, der das System dahinter kontrolliert. Beim Auto wird es genauso sein. Entscheidend ist, wer die Plattform beherrscht – nicht, wer den Motor konstruiert.“
Diese Entwicklung verändert auch das Selbstverständnis der Industrie. „Das Auto wird Teil eines größeren Ökosystems – verbunden mit Energiequellen, Infrastruktur und digitalen Diensten. Es kommuniziert mit seiner Umgebung, es plant, lädt, navigiert, bucht, zahlt. Mobilität wird zu einem Datenraum, in dem viele Branchen zusammenfließen.“
Für Jost bedeutet das auch, dass sich die Wertschöpfung verschiebt. „Software, Energie, Service – das wird die neue Triade der Mobilität. Das Geschäftsmodell der Zukunft ist nicht mehr der Verkauf eines Autos, sondern die intelligente Nutzung von Mobilität im Kontext von Energie und Daten.“
„Die neuen Wettbewerber denken in Systemen, nicht in Modellen“
Wenn Jost über die kommenden Wettbewerber spricht, tut er das ohne Pathos, aber mit Nachdruck. Die neuen Player kommen nicht mehr aus der Garage, sondern aus dem Serverraum. „Software, künstliche Intelligenz und Plattformlogik sind die zentralen Hebel. Wer diese beherrscht, gestaltet die Zukunft.“
Er beobachtet, dass viele europäische Hersteller in diesem Rennen strukturell im Nachteil sind. „Wir haben in Europa großartige Ingenieure und viel Wissen, aber oft fehlt der unternehmerische Mut. Wir diskutieren zu lange, statt Dinge einfach zu tun.“ Die gewachsenen Konzernstrukturen erschwerten Tempo und Experimentierfreude. „Wenn jede Entscheidung durch zehn Gremien muss, bevor etwas ausprobiert werden darf, verliert man Zeit – und am Ende Relevanz.“
Für ihn ist das kein Versäumnis einzelner Manager, sondern ein systemisches Problem. „Wir haben uns an Prozesse gewöhnt, die Stabilität erzeugen sollten. Jetzt brauchen wir Strukturen, die Geschwindigkeit ermöglichen.“ Er vergleicht das Vorgehen Europas mit der Dynamik in Asien und den USA. „In China oder Kalifornien wird ausprobiert und skaliert. In Europa wird analysiert und gewarnt. Aber wer zu lange abwägt, verpasst den Moment des Handelns.“
Der ehemalige VW-Stratege sieht in dieser neuen Wettbewerbslandschaft nicht nur technologische, sondern kulturelle Unterschiede. „In Europa denken wir noch in Modellen, anderswo denkt man in Systemen. Die Zukunft wird aber nicht in Stückzahlen entschieden, sondern in Netzwerken. Mobilität wird kein Produkt mehr sein, sondern ein digitaler Dienst mit physischer Schnittstelle.“
Er beschreibt den Wandel als Herausforderung für alle Beteiligten. „Die Rolle der OEMs wird sich verändern, genauso wie die der Zulieferer. In Zukunft geht es um Partnerschaften – um Ökosysteme, in denen jeder Teil zur Gesamtleistung beiträgt.“
Jost überträgt das Denken der Autoindustrie aufs Meer
Nach seiner Zeit bei Volkswagen widmet sich Michael Jost einem neuen Feld: der Elektrifizierung des Wassers. „Ich mache im Grunde weiter das Gleiche – nur auf dem Wasser“, sagt er im Gespräch in München. „Bei Volkswagen haben wir gelernt, Energieflüsse zu verstehen. Jetzt machen wir das Gleiche im maritimen Bereich.“
Dabei denkt Jost über Antriebe im klassischen Sinne hinaus. „Bei Ed-Tec entwickeln wir elektrische Hochleistungsantriebe,“ erklärt er, „aber entscheidend ist das System, das Zusammenspiel aller Komponenten.“ Für ihn steht nicht der einzelne Motor im Mittelpunkt, sondern die vollständige Integration von Energie, Steuerung und Konstruktion. „Im Wasser ist es genau umgekehrt wie auf der Straße: Wenn du es richtig machst, wird der Widerstand bei steigender Geschwindigkeit kleiner.“ Dieser physikalische Zusammenhang sei die Grundlage für das Konzept von Ed-Tec. „Wir nutzen das, indem wir das ganze System – also Rumpf, Antrieb, Energie und Steuerung – aufeinander abstimmen.“
Jost spricht ruhig, aber mit der typischen Überzeugung eines Ingenieurs, der auf Effizienz statt Spektakel setzt. „Wir wollen zeigen, dass elektrischer Antrieb nicht Verzicht bedeutet, sondern Präzision und Kontrolle.“ Es gehe darum, Leistung und Nachhaltigkeit miteinander zu verbinden. „High Performance, die intelligent funktioniert“, nennt er das.
Laut den offiziellen Informationen des Unternehmens verfolgt Ed-Tec dabei einen umfassenden Systemansatz. Der sogenannte 360-Grad-Technologie-Stack reicht „vom Wasser bis zur Cloud“ und verbindet alle Funktionsbereiche – vom Rumpfdesign über Energiemanagement bis zur digitalen Steuerung. Das Ziel: maximale Effizienz durch kontinuierliche, datenbasierte Optimierung.
Ein weiterer zentraler Bestandteil ist laut Unternehmensangaben das Energie- und Lademanagement. Ed-Tec setzt auf Schnellladetechnologien mit bis zu 150 Kilowatt DC sowie auf bidirektionale Energieflüsse zwischen Booten und Fahrzeugen („Vessel-to-Vessel“ und „Vessel-to-Car“). Auch Solarintegration und Cloud-Updates sind Teil des Konzepts, um Wartung und Systemverbesserung über die Zeit zu automatisieren.
Ein Teil dieses Gesamtsystems ist auch eine sogenannte Off Grid Villa, die das Unternehmen als Ed-Tec Resort bei Sibenik/ Skradin in Kroatien realisiert. Sie dient als reales Demonstrationsobjekt für die Technologien des Unternehmens – eine Verbindung aus Architektur, Energieeffizienz und digitaler Steuerung. „Wir zeigen dort, wie ein Energiesystem autark funktionieren kann“, so Jost. Die Villa versorgt sich vollständig selbst über erneuerbare Energien, speichert Strom in Batteriesystemen und regelt Verbrauch, Kühlung und Netzmanagement über intelligente Software. „Es ist eine Art Labor, das die Prinzipien von Ed-Tec im Alltag sichtbar macht.“
Für Jost steht die Anlage sinnbildlich für das, was Ed-Tec ausmacht: das Denken in Systemen. „Energie, Bewegung, Daten – alles hängt zusammen. Wenn man das richtig organisiert, entsteht Unabhängigkeit.“
Jost fasst den Kern von Ed-Tec in einem Satz zusammen: „Wir übertragen das Denken der Effizienz vom Auto aufs Boot.“ Es gehe nicht um einen technischen Exkurs, sondern um die Fortsetzung einer Entwicklung, die für ihn längst über die Straße hinausweist. „Wenn Energie, Daten und Bewegung zusammenspielen, entsteht etwas Neues.“
Zum Schluss formuliert er, was ihn antreibt: „Ich glaube daran, dass Effizienz die neue Emotion ist.“







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