Mit der „Neuen Klasse“ moderner Elektroautos schlägt der Münchner Automobilhersteller BMW das wohl wichtigste Kapitel seiner jüngeren Unternehmensgeschichte auf. Mike Reichelt, Projektleiter dieses „Jahrhundertvorhabens“, macht im Gespräch mit der Automobilwoche nun deutlich: „Wir haben die Architektur auf einem weißen Blatt Papier entwickelt.“ Gemeint ist ein radikaler Neuanfang, weg von evolutionären Konzepten, hin zu einem echten Software-Defined Vehicle.
Kern der Neuausrichtung ist eine völlig neue Elektronikplattform. Hochleistungsrechner, bei BMW „Superbrains“ genannt, übernehmen künftig die Rolle zentraler Steuergeräte. „Die Rechenleistung ist im Vergleich zu heute um ein Vielfaches höher“, erklärt Reichelt. Damit lassen sich Fahrdynamik, Fahrerassistenz, Infotainment und Sensorik erstmals in einem integrierten System orchestrieren.
Premiere feiert dieser Ansatz im BMW iX3 der Neuen Klasse. Mit dem „Heart of Joy“-Controller und dem neuen iDrive X samt Panoramabildschirm steht ein digitales Cockpit bereit, das permanent über Software-Updates verbessert werden kann. Für Reichelt ist das ein Paradigmenwechsel: „Software ist nicht mehr nur eine Ergänzung, sie ist die Grundlage unserer Fahrzeuge.“
Autonomer und preislich attraktiver
Auch bei den Assistenzsystemen will BMW neue Maßstäbe setzen. Gemeinsam mit Partnern wie Qualcomm werde im iX3 ein Level-2+-System eingeführt, das freihändiges Fahren auf Autobahnen erlaubt. „Wir reden hier nicht mehr über Visionen, sondern über ein marktreifes Angebot“, sagt Reichelt. Zudem soll sich die „Neue Klasse“ preislich in Verbrennerregionen bewegen.
Die IAA Mobility in München bietet den Rahmen, diese Botschaften an Kunden, Journalisten und Politik vielbeachtet zu adressieren. BMW-Geschäftsführer Oliver Zipse betonte bereits zur Messeeröffnung, dass der Erfolg künftiger Mobilität davon abhängt, „neue Technologien zu beherrschen und Kunden weltweit zu verstehen“. Die Neue Klasse steht damit letztendlich nicht nur für ein neues Elektroauto, sondern für eine neue industrielle Logik, in der Software vor Hardware rangiert, das Assistenzsystem mehr wiegt als das Spaltmaß.

Gleichzeitig bleibt BMW seiner Linie der Technologieoffenheit treu. Während die Neue Klasse konsequent elektrisch gedacht ist, hält der Konzern parallel an anderen Antriebsformen fest – vom Verbrenner über Plug-in-Hybride bis hin zum Wasserstoff. Diese Mehrgleisigkeit soll sicherstellen, dass man in unterschiedlichen Weltregionen flexibel agieren kann, sorgt hierzulande aber mitunter für viel Kritik.
Auch BMW setzt auf fahrende Computer
Nachhaltigkeit soll eine zentrale Rolle bei den Münchnern spielen. Dank effizienterer Batterien, kürzerer Ladezeiten und geringerer CO2-Bilanzen will BMW die Neue Klasse zu einem Symbol für umweltfreundliche Premium-Mobilität machen. Bis 2027 sollen rund 40 neue oder überarbeitete Modelle auf den Markt kommen – viele davon basierend auf der neuen Architektur. Mit der Neuen Klasse läutet BMW nicht einfach die nächste Generation seiner Elektroautos ein. „Wir bauen ein echtes Software-Defined Vehicle“, betont Reichelt.
Sowohl BMW als auch Mercedes holen technisch gerade massiv auf, was den Vergleich zu asiatischen und dabei vor allem chinesischen Herstellern, aber auch zu Pionier Tesla angeht. Was aber sowohl in München als auch in Stuttgart etwas wurmen dürfte: Jetzt, wo man endlich mit den bisherigen chinesischen Modellen mit 800-Volt-Technik beim Schnellladen mithalten kann, präsentiert beispielsweise Xpeng einfach zum nach wie vor günstigeren Preis E-Autos mit nahezu doppelt so hohen Ladeleistungen.
Quelle: Automobilwoche – Interview mit dem Chef der Neuen Klasse: „Das macht sie zum echten Software-Defined Vehicle“