Wer über autonomes Fahren in China spricht, kommt an QCraft nicht vorbei. Das 2019 im Silicon Valley von ehemaligen Waymo-Ingenieuren gegründete Unternehmen zählt zu den am schnellsten wachsenden Anbietern im Bereich automatisiertes und autonomes Fahren. Heute sind bereits über 600.000 Autos mit QCrafts NOA-Systemen unterwegs, mehr als sechs Milliarden Testkilometer wurden absolviert. Ein Eingriff des Fahrers soll im Schnitt erst nach 400.000 Kilometern notwendig sein – ein international beachteter Benchmark.
Zudem fahren mehr als 200 autonome Busse im kommerziellen Betrieb in 26 chinesischen Städten. Bis 2025 soll die Zahl auf über eine Million Fahrzeuge steigen. Nun wagt QCraft den Schritt nach Europa und eröffnet seine neue Zentrale in Deutschland.
Warum Deutschland als globales Zentrum für Automobil und Autonomie gewählt wurde
„Deutschland ist für uns das globale Zentrum für die Automobil- und autonome Fahrindustrie“, sagt Qian Yu, CEO von QCraft, im Gespräch mit Elektroauto-News. Der Standort vereine gleich mehrere Vorteile: ein dichtes Netzwerk an Talenten, ein einflussreiches regulatorisches Umfeld und ein innovationsfreundliches Testfeld. „Deutschland hat für uns eine dreifache Funktion – als Produkt- und Business-Zentrum, als Engineering- und Zertifizierungsstandort und als Plattform für Ökosystem-Kooperationen. Das ist entscheidend, um unseren Weg von der Großserienproduktion hin zur globalen Lieferung zu gestalten.“
Die Unterschiede zwischen den Märkten sieht Yu vor allem in den Erwartungen und im Regulierungsrahmen. In China habe die starke Nachfrage nach Elektroautos die Entwicklung intelligenter Funktionen enorm beschleunigt. Besonders die jüngere Generation betrachte smarte Features als entscheidenden Faktor bei der Kaufentscheidung. Europa sei dagegen traditionell ein Kraftzentrum der Automobilindustrie – mit einem reifen, sehr strengen rechtlichen System. „Mit dem Fokus auf Sicherheit als Kernwert spielt dieses System eine zentrale Rolle für die langfristige Entwicklung des autonomen Fahrens“, so Yu.
Klar ist für QCraft, dass die Expansion nach Europa nicht mit einem einfachen „Copy-and-Paste“-Ansatz funktionieren wird. „Unsere Systeme müssen für Europa systematisch neu aufgestellt werden. Das ist vergleichbar mit einem erfahrenen Fahrer aus China, der in Europa die lokalen Straßenregeln, enge Straßen, Kreisverkehre oder das Verhalten nicht-motorisierter Verkehrsteilnehmer neu lernen muss“, erklärt er. Dafür werden Wahrnehmungs-Algorithmen, Entscheidungslogik und Szenario-Strategien neu angepasst. Auch regulatorisch beginnt das Unternehmen von vorn: von der Anpassung an das EU-Gesetz zum autonomen Fahren (UN-R157) über Datenschutzstandards (GDPR) bis hin zu Normen wie ISO 26262 oder TISAX.
CTO Dong Li verweist auf die technologische Basis, die QCraft in China aufgebaut hat und die auch in Europa tragfähig sein soll. „Unsere E-Auto-Wahrnehmung und End-to-End-Lösungen sind leistungsstärker als vorherige Generationen und haben zu grundlegenden Verbesserungen in urbanen Szenarien, bei aktiver Sicherheit und beim Parken geführt.“ Besonders wichtig sei der geschlossene Entwicklungsprozess: Entwickler und Produktmanager testen die Systeme regelmäßig selbst, sammeln Feedback von Kunden und arbeiten funktionsübergreifend an Optimierungen. „Dadurch konnten wir zahlreiche Probleme im Fahr-, Park- und Sicherheitsbereich lösen und exzellentes Feedback von Nutzern erhalten“, so der CTO des Unternehmens.
Starke Partner im Ökosystem: NVIDIA, Qualcomm und AWS sichern Skalierung und Infrastruktur
Ein weiterer Vorteil ist laut ihm die enge Zusammenarbeit mit Partnern wie NVIDIA, Qualcomm oder Amazon Web Services. „Diese Partner sind entscheidende Mitglieder unseres Ökosystems. Sie unterstützen uns bei Hardware-Enabling, Dateninfrastruktur und globaler Skalierung.“ Auch beim Thema Fehlbremsungen verweist Li auf die eigene Stärke: QCraft gelinge es durch robuste Algorithmen und konsequentes F&E-Management, die Rate auf einem international niedrigen Niveau zu halten.
Für Europa setzt QCraft auf eine klare Lokalisierung: Ein lokales Team für Entwicklung, Test, Zertifizierung und Betrieb wird bereits in diesem Jahr aufgebaut, in den kommenden Jahren soll es je nach Marktentwicklung deutlich wachsen. „Wir respektieren die Anforderungen unserer Kunden an eine lokalisierte Umsetzung und werden europäische Fachkräfte einstellen“, sagt Li. Dieses Wissen sei entscheidend, um Reaktionsgeschwindigkeit und Anpassungsfähigkeit zu verbessern.
Neben Lösungen für Automobilhersteller sieht QCraft auch in Europa Potenzial im öffentlichen Verkehr. Pilotprojekte mit autonomen Shuttlebussen für Metro-Anbindungen oder Industrieparks seien naheliegend. „Wir kombinieren Sicherheits-Redundanz, Iterationsgeschwindigkeit und Szenario-Anpassungsfähigkeit“, erklärt Yu. „Unsere Technologie ist erprobt und einsatzbereit.“
Von L2++ zu L4: Warum strenge europäische Vorschriften QCrafts Sicherheitsphilosophie stützen
Technologische Hürden auf dem Weg von L2++ zu L4 sieht Li weniger auf der technischen Seite, sondern in den Rahmenbedingungen. „Technologie ist universell, es gibt keine ausschließlich europäischen Hürden. Die strengen Vorschriften hier sehen wir als Vorteil, weil sie unsere Safety-First-Philosophie unterstützen.“
Ein Schlüsselelement sei der Spatio-Temporal-Joint-Planning-Algorithmus. Dieser berechnet Trajektorien direkt im dreidimensionalen Raum (x-y-t) und nähert sich damit einem globalen Optimum. „Er verfügt von Natur aus über die Fähigkeit zum Spurwechsel, zum Umfahren von Hindernissen und zu Notausweichmanövern. Gleichzeitig orientiert er sich stark am menschlichen Fahrverhalten, sodass unsere Systeme Fahrweisen erreichen, die dem menschlichen Fahren sehr nahekommen.“
Mit der neuen Europazentrale will QCraft seine in China validierte Großserien-Erfahrung auf den europäischen Markt übertragen. Der Anspruch ist klar: Lokalisierte Entwicklung statt Standardlösung, enge Zusammenarbeit mit Herstellern und Behörden – und ein Fokus auf Sicherheit und Nutzerorientierung.