Automarkt Türkei: Togg schürt neue Hoffnung

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Togg

Wolfgang Gomoll
Wolfgang Gomoll
  —  Lesedauer 4 min

Das Automobilland Türkei, die „Werkbank des Westens„, entwickelt sich mehr und mehr zum Standort eigener ambitionierter Autobauer, die auch außerhalb des eigenen Marktes erfolgreich sein wollen.

Am eurasischen Horizont tut sich ein Silberstreifen auf. Wenn auch nur ein ganz schmaler, der bislang nur mit viel gutem Willen und einem exzellenten Fernglas auszumachen ist. Die rasende Inflation, die mit Werten von bis zu 85 Prozent jedem Ökonomen das Blut in den Adern gefrieren ließ, hat an Fahrt verloren. Dennoch galoppiert die Geldentwertung weiter. Laut Statista betrug die Inflationsrate im März 2023 im Vergleich zum Vorjahresmonat rund 50,51 Prozent. Immer noch eine Zahl, die in Westeuropa einen Krisenstab auf den Plan rufen würde.

Togg Seitenansicht des T10X SUV

Die Maßnahme der Senkung der Zinssätze, mit der der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan versucht, die lahmende Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, verpufft eher, als dass sie den erhofften Umschwung schafft. Immerhin ist die türkische Lira durch Devisenverkäufe der Zentralbank wieder stabil geworden. Wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl sind die Vorzeichen, wohin die Reise geht, weiter ungewiss. Da ist es Wasser auf den Mühlen der stolzen Türken, dass innerhalb von neun Tagen 177.467 Vorbestellungen für das vollelektrische T10X SUV des einheimischen Herstellers Togg eingegangen sind.

Das Konzept, sich erst einmal auf dem Heimatmarkt zu etablieren, hat durchaus Erfolgsaussichten. Mit rund 85 Millionen Einwohnern weist die Türkei eine ähnlich große Anzahl potenzieller Kunden auf wie die Bundesrepublik Deutschland. Eine geschäftsfördernde Kaufkraft ist ebenfalls vorhanden, da das Bruttoinlandsprodukt nur etwa 20 Prozent unter dem EU-Durchschnitt liegt. Der Mobilitätshunger ist in vielen Regionen noch hoch.

Das bedeutet aber nicht, dass sich Togg in ein gemachtes Nest setzen kann. Damit Elektroautos zum Verkaufserfolg werden, ist eine gut ausgebaute Ladeinfrastruktur nötig, und bis die in dem weitläufigen Land im ausreichenden Maße steht, fließt noch einiges an Wasser den Euphrat hinunter. Immerhin stieg die Zahl der Elektroautos im vergangenen Jahr gegenüber 2021 um 132,2 Prozent auf 14.522. Vergleichsweise bescheiden, aber immerhin.

Togg Heckansicht des T10X SUV

Also macht Togg aus der Not eine Tugend. Die Pläne des türkischen Herstellers sind ambitioniert und gehen weit über das eigene Land hinaus: Im nächsten Jahr soll der Stromer in europäische Märkte exportiert werden. Weitere Regionen wie China, die USA, Russland oder Südkorea stehen auf dem Zettel. Dass es die Togg-Verantwortlichen mit ihrem Expansionswillen ernst meinen, zeigt die Tatsache, dass das erste Modell an den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev gehen soll. Die generöse Geste ist ein klares Zeichen, dass man sich auch in asiatischen Regionen etablieren will.

Doch diese Idee hat der türkische Autobauer nicht exklusiv. Auch andere Hersteller aus China oder VinFast aus Vietnam wollen mit einem attraktiven Preis-Leistungs-Verhältnis ein Stück vom Kuchen abhaben. „Bis 2030 plant das Togg-Konsortium insgesamt fünf Modelle auf den Markt zu bringen, darunter auch ein Kombi, ein Kompaktvan und ein Klein-SUV. Die hohen Bestellzahlen aus der Türkei sind beeindruckend, aber es bleibt fraglich, ob der Erfolg auch auf internationaler Ebene wiederholt werden kann. Die westlichen und asiatischen Automobilhersteller – insbesondere die Chinesen – werden in den kommenden Jahren harte Kämpfe um den Marktanteil bei E-Mobilität führen“, analysiert Arnd Petmecky von der Unternehmensberatung Bürgenstock Associates AG.

Togg T10X SUV Innenraum

Allerdings muss der neue Elektromobilitätshersteller das türkische Automobilwirtschaftswunder nicht alleine stemmen. „Die Automobilindustrie in der Türkei hat in den vergangenen Jahrzehnten erhebliche Fortschritte erzielt und sich zu einem wichtigen Akteur auf der globalen Bühne entwickelt. Türkische Automobilhersteller wie Tofas, Oyak-Renault und Ford Otosan haben sich auf die Produktion von Personenkraftwagen, Nutzfahrzeugen und Bussen spezialisiert und leisten einen bedeutenden Beitrag zur türkischen Wirtschaft durch Schaffung von Arbeitsplätzen und Steigerung der Exporte“, sagt Arnd Petmecky. Im Jahr 2022 stieg die Automobilproduktion um vier Prozent gegenüber 2021. In absoluten Zahlen: rund 811.000 Einheiten.

Diese Produktionsqualität ist eine Konsequenz aus einem Umstand, den man in der Türkei nicht unbedingt gerne hört. Das eurasische Land gilt nach wie vor als wichtiger Produktionsstandort großer Automobilhersteller, quasi als „Werkbank des Westens“. Dass Arbeiter und andere Ingenieure das Know-how mitnehmen, liegt nahe. Dazu kommt, dass die Türkei als Produktionsstandort nach wie vor ein wichtiger Faktor bleibt. Laut dem europäischen Automobilverband ACEA importiert die EU 15,7 Prozent ihrer Kraftfahrzeuge aus der Türkei. Damit ist die Türkei in diesem Aspekt die Nummer eins aller Nicht-EU-Länder.

Hauptabnehmer der türkischen Automobilexporte im Jahr 2022 ist Deutschland mit einem Volumen von 4,38 Milliarden US-Dollar. In den ersten beiden Monaten des Jahres 2023 verzeichneten die Exporte der Automobilindustrie inklusive der Zulieferer einen Wert von 5,5 Milliarden US-Dollar. Isoliert betrachtet, legten die Automobilexporte um elf Prozent auf 1,6 Milliarden US-Dollar zu. Also bleibt es in dem Land, das das Bindeglied zwischen zwei Kontinenten bildet, weiterhin spannend.

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Wolfgang Gomoll

Wolfgang Gomoll

Wolfgang Gomoll beschäftigt sich mit dem Thema Elektromobilität und Elektroautos und verfasst für press:inform spannende Einblicke aus der E-Szene. Auf Elektroauto-News.net teilt er diese mit uns. Teils exklusiv!
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Mavix:

Wenn ich mich nicht täusche, noch vor paar Monaten hat Ford und Tesla angekündigt in der Türkei und Ungarn Fabriken zu bauen. Also Globalisierung läuft noch und wird auch in Zukunft laufen.

Andreas:

Und weil Europa leider keine politische Union ist, zerbröselt die eigentliche Marktmacht unter dem Druck der Eigeninteressen der Länder

MMM:

Ich denke, die Globalisierung wird in den kommenden Jahren einen Dämpfer erfahren.
Immer mehr Länder drängen darauf, ihre eigenen Produkte lokal zu priorisieren. Das ist hier für die Türkei beschrieben, aber in China und andernorts ist das ebenso – nur in der Auswirkung weitaus gewaltiger. Zur gleichen Zeit wollen die Firmen (oder diese Länder) aber auch ihre eigenen Produkte in andere Länder bringen.
Nichts mehr importieren – ausländische Firmen im eigenen Land an den Rand drängen – mehr exportieren – die Firmen in ihren heimischen Märkten verdrängen.

Im Grunde sind wir („der Westen“) es selbst schuld.
Mit „Geiz ist geil“ haben wir die Jagd auf den letzten einzusparenden Produktions-Dollar eröffnet – und das ging lange Zeit nirgendwo so gut wie in China.
Dann haben wir auf möglichst große Gewinne für die Firmen gesetzt (und uns über Aktien daran beteiligt) – und dafür bereitwillig unser KnowHow verscherbelt an chinesische Firmen, die nach staatlichen Vorgaben (bis 2020, glaube ich) zwingend zu beteiligen waren. Nur, um auf diesem Markt zu sein. Billig produzieren, billig verkaufen, trotzdem viel Geld verdienen.

Das rächt sich jetzt: inzwischen können die Chinesen, vor 10 Jahren noch belächelt, sehr passable Autos bauen. Wo es im Detail noch fehlt, hilft staatliche Unterstützung, auch z.B. beim Zugang zu Rohstoffen.
Und so, wie es mit der Solarindustrie gekommen ist, wird man es auch bei Autobau versuchen: ausländische Konkurrenten beim Preis niederringen – egal wie (um Ökologie in der Produktion geht es den Chinesen nicht), die Märkte besetzen, das Geld abziehen in die heimische Wirtschaft. Eigentlich gibt es dafür nicht nur dieses, sondern hunderte, nein tausende Beispiele: Fernseher, Schuhe, Smartphones, Medizingeräte, Computerchips, Bekleidung, Hausrat, Kinderspielzeug, selbst Arzneimittel – einfach alles.
Die Chinesen haben gelernt. Von uns. Und nicht nur die Chinesen, die anderen lernen auch.
Aber wird sich die Solar-Story wiederholen?

Damit sind wir wieder oben angekommen – vielleicht gibt es hier ein Umdenken. Zwar sind nicht alle Länder in Europa an der Autoproduktion und dem Export beteiligt – aber einige Nationen in der EU schultern nicht zuletzt deswegen mehr Mitgliedsbeiträge als andere – weil sie es können. Noch. Ein Land wie Deutschland schöpft seine Kraft aus seinen Exporten – wenn wir zu einem Importland werden, ist das passé. Das gilt in unterschiedlichem Maße natürlich auch für Frankreich, Spanien, Italien, Polen und ein, zwei mehr. Das würde dann auch die übrigen Länder in Europa betreffen.

Wie kann man das verhindern?
Die Chinesen schützen zunehmend ihren Markt.
Die Amerikaner schützen zunehmend ihren Markt.
Die Europäer sollten vielleicht das Gleiche tun oder zumindest darauf dringen, dass diese Autos dann auch in Europa gebaut werden.
Das Auto ist aber hier nur stellvertretend zu nennen für eine ganze Reihe von (Konsum)gütern, deren Produktion wir in andere Länder ausgelagert haben. Der Preis, den wir dafür zahlen, steigt.

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