Türkei will elektrisch werden und setzt auf TOGG

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TOGG

Stefan Grundhoff
Stefan Grundhoff
  —  Lesedauer 5 min

Der Ukraine-Krieg und die Probleme in der Halbleiterindustrie haben die Türkei für die Autobranche wieder interessant gemacht. Allein die politische Situation schreckt viele noch ab, denn auch die Türkei ist auf dem Weg in die Elektromobilität.

Die Türkei hat eine mehr als 50jährige Geschichte in der Autoindustrie. Auch wenn es mit landeseigenen Herstellern bisher nicht klappte, ist das Land als Produktionsstandort für Fahrzeuge und die Zulieferindustrie seit vielen Modellgenerationen gesetzt. Hersteller wie Ford, Toyota, Renault, Fiat oder Mercedes fertigen ihre Fahrzeuge bereits seit vielen Jahren am Bosporus. Das geplante 300.000-Fahrzeuge-Großwerk von Volkswagen wurde 2019 nur durch die zunehmend angespannte politische Lage verhindert, die nach wie vor einige Autohersteller abhält zu investieren, während die Zulieferindustrie hier weniger Berührungsängste hat.

Der Schwerpunkt der Fahrzeugfertigung liegt seit langem bei leichten und schweren Nutzfahrzeugen. Jetzt will Togg als türkischer Autohersteller aus dem Schatten heraustreten und die Türkei auch als Elektrostrandort interessant machen. Auch wenn es der Türkei wirtschaftspolitisch aktuell alles andere als gut geht, werden die Entwicklungen schon aufgrund der schwierigen Situation in der Ukraine und Russland von vielen mit großem Interesse beobachtet.

Rund 250 globale Unternehmen nutzen die Türkei aktuell als Produktionsstandort. Von den weltweit 50 größten Automobilzulieferern sind 30 in der Türkei ansässig. Die Fahrzeugproduktion ging 2021 gegenüber dem Vorjahr in Europa um vier Prozent zurück. In der Türkei betrug der Produktionsrückgang zwei Prozent und belief sich auf 1,27 Millionen Fahrzeuge, womit die Türkei weltweit auf Platz 13 vor Großbritannien oder Italien rangiert und europaweit den vierten Platz belegt. In der Nutzfahrzeugproduktion ist die Türkei mit 493.305 Einheiten Spitzenreiterin in Europa. Im Zeitraum Januar bis Mai belief sich die Gesamtproduktion der türkischen Automobilindustrie auf 513.000 Einheiten.

Auch Türkei setzt auf Elektrifizierung

Elektrifizierte Fahrzeuge werden immer wichtiger und genau hiervon verspricht sich die Türkei in Zusammenhang mit der schwierigen Situation in Russland und der Ukraine für die Zukunft neue Marktchancen. Einer der wichtigsten Fahrzeughersteller Ford stellt in der Türkei seit Jahrzehnten seinen Transporter-Evergreen Transit her. Auch die neue Elektroversion wird bei Ford Otosan hergestellt. Hierfür wurden 2,2 Milliarden US-Dollar investiert, damit jährlich 200.000 Elektroversionen des E-Transit die Fertigung in Kocaeli verlassen können.

„Das Kocaeli-Werk von Ford Otosan ist das Herz der Transit-Produktion in Europa und die Feierlichkeiten zum Produktionsstart des vollelektrischen E-Transit läuten das nächste Kapitel in unserer starken Partnerschaft ein“, sagte Hans Schep, General Manager Ford Pro, Europa. „Dies ist ein großer Transformationsschritt am Standort Kocaeli, hin zu einem bedeutenden Zentrum zur Herstellung von elektrifizierten Ford-Nutzfahrzeugen für europäische Märkte“. Der Ford Transit mit Verbrennungsmotor gehört zu den langlebigsten Ford-Modellen in Europa und ist weltweit eines der beliebtesten Nutzfahrzeuge. In den vergangenen 50 Jahren wurden davon mehr als 10 Millionen produziert und abgesetzt. Auch Toyota und Renault – lokal durch Oyak Renault vertreten – fertigen in der Türkei aktuell Hybridversionen verschiedener Modelle.

TOGG will E-Mobilität ein wenig anders denken – offener

Den Elektrotrend will auch das Start-Up Togg nutzen, das auf der Consumer Electronic Show in Las Vegas Anfang des Jahres seinen großen Auftritt hatte. Hinter Togg steht ein Konsortium türkischer Unternehmen und Wirtschaftsorganisationen, das aus der Anadolu Grubu Holding A.Ş., BMC Otomotiv Sanayi ve Ticaret A.Ş., Turkcell İletişim Hizmetleri A.Ş., Zorlu Holding A.Ş. und der Union der Kammern und Warenbörsen der Türkei besteht. An dessen Spitze der Turkey’s Automobile Initiative Group steht mit Mehmet Gürcan Karakaş ein CEO, der drei Jahrzehnte an verantwortlichen Stellen in der Autoindustrie arbeitete – zuletzt verantwortlich für die Elektroantriebe bei Bosch.

Togg sieht sich weniger als traditioneller Autohersteller, sondern als Anbieter einer offenen Mobilität, bei dem das Auto als smartes Device nur eines der verschiedenen Module ist. Auf der CES enthüllte Togg unter seinem CEO Gürcan Karakaş mit einem elektrischen Fastback einen Ausblick auf das erste Serienfahrzeug, das im ersten Quartal 2023 zunächst zu den türkischen Kunden rollen soll. Danach sind – zunächst für den eigenen Markt – eine Limousine und ein Fließheckmodell geplant. Togg ist nicht zuletzt als politisches Projekt zu sehen, denn ein eigener Autohersteller aus der Türkei für die heimische Bevölkerung, das war nicht zuletzt eine Herzensangelegenheit des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, der sein Land in den europäischen Wirtschaftskreislauf einbringen will.

Zunächst will man sich in einer Testphase auf dem Heimatmarkt behaupten, doch dann steht die Expansion in andere europäische Länder an, wobei zunächst Skandinavien ins Visier genommen werden soll. Bis zum Ende des Jahrzehnts will Gürcan Karakaş insgesamt eine Million Fahrzeuge in fünf verschiedenen Segmenten produzieren. Diese sollen auf absehbare Zeit aus der neuen Fertigung nahe Gemlik in der Region Bursa kommen. „Es ist eine grüne Produktion im Nordwesten der Türkei am Marmara-Meer“, unterstreicht Karakaş, „wir haben dort eine Größe von 1,2 Millionen Quadratmetern und können dort zum Start 175.000 Fahrzeuge pro Jahr fertigen. Dabei ist das Werk modulartig aufgebaut und wir können es problemlos jederzeit erweitern.“ Gemlik, die Heimat von Togg, ist eine der führenden Olivenproduktionsregionen der Welt. Insgesamt sollen für die neue Automarke über Zeitraum von zehn Jahren mehr als 3,5 Milliarden US-Dollar investiert werden.

Türkei für E-Mobilität offen?

Wie schnell die türkische Bevölkerung auf die Elektromobilität aufspringt, muss sich zeigen. Nach Angaben der Regulierungsbehörde für den Energiemarkt lag die Zahl der Ladestationen für Elektrofahrzeuge in der Türkei im Jahr 2021 bei gerade einmal 3.457. Ein Drittel der Ladepunkte befindet sich davon in Istanbul gefolgt von Ankara und İzmir. In der Metropolstadt İstanbul sind 1.265, in Ankara 320, in İzmir 235, in Antalya 162 und in Muğla 128 Ladepoints in Betrieb. Im Zeitraum Januar bis Mai 2022 stieg der Absatz von Elektroautos um 185,9 Prozent auf sehr schmale 1.764 Fahrzeuge mit Stecker. Der Anteil der Elektroautos am Gesamtabsatz erhöhte sich von 0,2 Prozent auf 0,8 Prozent. Der EPDK zufolge waren Ende 2021 sechs Tausend E-Autos in der Türkei im Verkehr. Da gibt es viel zu tun, was gerade angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage in der Türkei schwieriger denn je ist. Zuletzt lag die nationale Inflationsrate bei rund 80 Prozent.

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Stefan Grundhoff

Stefan Grundhoff

Stefan Grundhoff ist Firmeninhaber und Geschäftsführer von press-inform und press-inform consult. Er ist seit frühester Kindheit ausgemachter Autofan. Die Begeisterung für den Journalismus kam etwas später, ist mittlerweile aber genau so tief verwurzelt. Nach Jahren des freien Journalismus gründete der Jurist 1994 das Pressebüro press-inform und 1998 die Beratungsfirma press-inform consult.
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Alman:

Berichtet mehr über Deutschland wie zurück wir hier bleiben

Halil Şahin:

Was wisst ihr den über Türkei und die türkische Politik?
Warst du schonmal in der Türkei ? länger als 6 Wochen ?

Halil Şahin:

Das habt ihr auch bei Tesla gesagt

OPA und M3 Fahrer:

Der Sultan lässt seinen Volkswagen bauen. Ich denke das kann er vergessen. In der Türkei kann er vielleicht national punkten, ansonsten wird das nichts.

Philipp:

So schlimm ist es auch wieder nicht. Das vor-vor-vor-vor-Serienmodell ist schon vorletztes Jahr „gefahren“, mit Schrittgeschwindigkeit.

Es ist einfach das Vorserienmodell.
Man kann inzwischen durchaus von Zulieferern so einige Komponenten zukaufen und mitentwickeln lassen. Und weil ein BEV viel weniger komplex ist, sollte man das auch zeitnah hinbekommen.

Allerdings eine Premiumsqualität gleich mit dem ersten Modell in Serie hinzubekommen, wenn der Markt schon besetzt ist und gute Autos liefert? Da müssen wohl schon viele Lokalpatrioten dann zugreifen um die ersten Modelle absetzen zu können.

Ist es möglich? Ja, schon. Ist es nachhaltig? Hmmm….

Sorry, die heutige Türkei mit der Sultanzeit zu vergleichen ist einfach daneben. Bei uns waren da Kaiserreich, Weimarer Republik und die Nazizeit dazwischen. Ich denke wir sind auch nicht mehr wie damals.

neumes:

ich würde es den Türken wünschen dass das was geht….

da wird wohl die eigene Wirtschaft mit ihrem (80% Inflations)-Präsidenten (der ja eigentlich gerichtlich verurteilt lebenslanges Politikverbot hat) sich selbst im Weg stehen….

egon_meier:

TOGG baut gerade das erste vor-vor-vor-vor-Serienmodell.
Wenn die die BEV-Technik fertig haben, die Lieferkette in den Griff kriegen und die Fertigung autonom gebacken kriegen ist die restliche BEV-Welt schon ein paar Generationen weiter.

Nicht umsonst war die Türkei bislang nur verlängerte Werkbank. Das muss nichts für die Zukunft heißen aber politischen Projekte scheitern manchmal – auch weil banale Wissenschaftliche Erkennisse einfach igoniert werden: Wirtschafts- und Finanzpolitik des Sultan ist ein Beispiel.

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