Porsche erprobt Elektro-Cayenne unter Extrembedingungen – real und virtuell

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Michael Neißendorfer
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  —  Lesedauer 4 min

Porsche setzt beim Cayenne Electric mehr denn je auf digitale Erprobung. Doch der Faktor Mensch ist unerlässlich: Im Rahmen der finalen Testfahrten bringen die Ingenieure das SUV an seine Grenzen – bei eisiger Kälte und glühender Hitze.

Mit dem neuen Cayenne Electric will Porsche zeigen, wie digitale Transformation und Ingenieurskunst zusammenspielen, so der Hersteller in einer aktuellen Mitteilung. Das neue vollelektrische SUV soll gegen Ende des Jahres vorgestellt und dann parallel zu den aktuellen Verbrenner- und Hybrid-Modellen angeboten werden. „Dieses Projekt war das erste, bei dem wir direkt von der digitalen Gesamtfahrzeugerprobung in die Vorserienfertigung übergegangen sind“, erklärt Dr. Michael Steiner, stellvertretender Vorstandsvorsitzender und Mitglied des Vorstandes, Forschung und Entwicklung.

Die sogenannte Baustufe, wie die in Einzelanfertigung aufgebauten Prototypen intern heißen, konnte daher entfallen: Rund 120 zeitaufwändig herzustellende Versuchsfahrzeuge wurden weitgehend digital ersetzt. Bereits in der Konstruktionsphase schickten die Ingenieure virtuelle Prototypen auf digitale Testrunden.

Erste Komponentenversuche in der virtuellen Realität

Simulation und Künstliche Intelligenz haben die Fahrzeugerprobung einschneidend verändert – und verkürzt. Die Basis dafür bilden drei Säulen: präzise digitalisierte Strecken von Nürburgring bis Alltagsverkehr, jahrzehntelange Erfahrung der Weissacher Ingenieure aus der Realerprobung und die deutlich gestiegene Rechenleistung moderner Systeme für Simulationen in Echtzeit. So konnten die Ingenieure den Cayenne nicht nur virtuell darstellen, sondern auch direkt virtuell erproben.

In einer Entwicklungsphase, in der Bauteile zunächst digital vorhanden und damit vergleichsweise leicht veränderbar sind, testeten die Experten via Virtual Reality (VR) die ersten Eindrücke der künftigen SUV-Generation. Die Ergebnisse der digitalen Erprobung wurden später mit Prüfstandtests realer Komponenten verifiziert.

Hierfür wurde ein komplett neuer Verbundprüfstand entwickelt. Darauf lassen sich Antrieb, Batterie, Energiemanagement sowie Ladesystem gemeinsam und unter realitätsnahen Bedingungen testen. Die vier leistungsstarken Synchronmotoren des Prüfstands können so programmiert werden, dass sie unterschiedliche Fahrbahnbedingungen, Beschleunigungswiderstände sowie Kräfte beim Rekuperieren und Bremsen präzise simulieren. „Die Maschinen sind so hoch entwickelt, dass wir sogar verschiedene Asphaltoberflächen oder Reifenschlupf darstellen können“, sagt Ingenieur Marcus Junige. Auch die Umgebungsbedingungen können vollständig simuliert werden.

Permanenter Abgleich mit dem digitalen Zwilling

„Unsere Versuchsprogramme sind vom Anspruch her im Wettbewerb einmalig“, sagt Junige. Spektakuläres Beispiel: eine Runde am Limit auf der Nürburgring-Nordschleife. Den Input dafür liefert der virtuelle Prototyp. Alle simulierten Impulse werden in Echtzeit in den Verbundprüfstand eingespeist. „Das Fahrzeug muss unter allen Bedingungen die volle Leistung bringen, sobald der Fahrer sie abruft“, unterstreicht Junige. Insbesondere für das Thermomanagement des Hochleistungsfahrzeugs ist diese sogenannte maximale Stromfreigabe Stress pur: Um die Batterie unter allen Bedingungen optimal zu konditionieren, seien Heizung und Kühlung leistungsfähiger ausgelegt als bei jedem Elektro-Porsche zuvor.

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Zu jedem Zeitpunkt der Nürburgring-Runde wird verglichen, welche Werte auf dem Verbundprüfstand gemessen werden und was für den digitalen Zwilling zuvor errechnet wurde. Dabei bestätigte sich, dass die Simulation inzwischen so akkurat ist, dass es kaum noch Abweichungen gibt, die nach den physischen Erprobungsergebnissen korrigiert werden müssen.

Testen im Grenzbereich und allen Lebenslagen

So präzise die Simulation auch ist: Die finale Abstimmung bleibt Menschen vorbehalten. „In der Realität kann nur der Mensch den letzten Feinschliff geben“, betont Sascha Niesen, Teamleiter Erprobung Gesamtfahrzeug im Porsche-Entwicklungszentrum Weissach. Besonders auf Rundstrecken zeige sich, wie wichtig die Erfahrung von Testfahrern ist, um Fahrdynamik und Regelstrategien perfekt auszutarieren.

Ob in der Stadt, auf der Autobahn oder im Gelände: Der Cayenne Electric wird in allen Nutzungsszenarien getestet. Ein besonderer Fokus liegt auf dem Lademanagement. „Egal wie der Cayenne vorher bewegt wurde, er muss immer für das Schnellladen konditioniert sein“, erklärt Junige. Selbst Stausituationen werden vom Fahrzeug berücksichtigt, um die Antriebsenergie optimal einzusetzen.

Eine besondere Herausforderung sind Tests unter klimatischen Extrembedingungen. In heißen Gegenden wie den Golfstaaten oder im US-amerikanischen Death Valley mussten bei Temperaturen bis 50 Grad Celsius unter anderem die Klimatisierung und das Thermomanagement von Batterie und Antrieb anspruchsvolle Funktionsprüfungen über sich ergehen lassen. Im minus 35 Grad kalten Skandinavien standen Kaltstarts und Klimatisierung, Traktion, Handling und Bremsverhalten sowie Performance der Fahrdynamik-Regelsysteme auf dem Testkalender der Vorserienfahrzeuge. Bei beiden Klimaextremen musste der Cayenne Electric problemlos schnell laden können.

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Im Rahmen der Dauerläufe wird ein Fahrzeugleben unter so harten Bedingungen simuliert, wie sie in Kundenhand nur selten erfahren werden. Unter Alltagsbedingungen absolvieren die Fahrzeuge im Schichtbetrieb innerhalb weniger Monate jeweils mehr als 150.000 Kilometer – im Stadtverkehr, auf Landstraßen und Autobahnen.

Vom Crashlabor über Dauerläufe bis hin zu Erprobungen unter Extrembedingungen – überall bewährt sich das Zusammenspiel von digitaler Vorbereitung und realer Prüfung. Es macht den Entwicklungsprozess präziser und effizienter und hat laut Porsche die Entwicklungszeit des Cayenne Electric um rund 20 Prozent verkürzt. Gleichzeitig ist die virtuelle Erprobung durch weniger Materialaufwand ressourcenschonender.

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Quelle: Porsche – Pressemitteilung vom 16.09.2025

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Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer ist E-Mobility-Journalist und hat stets das große Ganze im Blick: Darum schreibt er nicht nur über E-Autos, sondern auch andere Arten fossilfreier Mobilität sowie über Stromnetze, erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit im Allgemeinen.

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