Mercedes: „Das Auto wird wirklich eine Powerbank“

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Mercedes-Benz

Sebastian Henßler
Sebastian Henßler
  —  Lesedauer 5 min

Am Rande der IAA Mobility in München sprach Elektroauto-News-Herausgeber Sebastian Henßler mit Eva Greiner, Chief Technology Officer der Mercedes-Benz Charging Unit, über die neuesten Entwicklungen im Bereich Ladeinfrastruktur. Im Mittelpunkt standen der jüngst aufgestellte Rekord beim Megawattladen, der Ausbau des firmeneigenen High-Power-Charging-Netzes sowie die Einführung des bidirektionalen Ladens. Greiner machte dabei deutlich, dass Mercedes-Benz die Elektromobilität nicht nur durch neue Fahrzeuge, sondern durch ein umfassendes Lade-Ökosystem vorantreiben will.

Mercedes-Benz setzte mit dem Concept AMG GT XX ein deutliches Ausrufezeichen in der Branche, als erstmals ein Pkw über einen CCS-Stecker eine Ladeleistung von mehr als einem Megawatt erreichte. Der Testlauf fand auf einer Prototypen-Ladesäule in Kooperation mit Alpitronic statt und wurde bewusst mit einem Seriennahen Pkw durchgeführt, nicht mit einem Nutzfahrzeug. Damit wollte das Unternehmen zeigen, dass Ladegeschwindigkeiten, die bisher im Truck-Bereich diskutiert wurden, auch für Pkw erreichbar sind.

Eva Greiner über das Ziel, „Laden wie Tanken“ zu ermöglichen

Greiner machte im Gespräch am Rande der IAA Mobility deutlich, wie ehrgeizig dieses Projekt war: „Unser Ziel ist, um Elektromobilität zu pushen, wirklich Laden wie Tanken zu ermöglichen. Das heißt, wir müssen Ladeleistungen erreichen, bei denen man in einer Minute 100 Kilometer nachladen kann.“ Technologisch möglich wurde das durch die hochentwickelte Batteriearchitektur des AMG GT XX, die auf zylindrische NCMA-Zellen mit einer sehr effizienten Direktkühlung setzt. Diese Lösung gewährleistet, dass enorme Ströme über längere Zeiträume fließen können, ohne die Zellen zu überlasten.

Besonders wichtig war aus Greiners Sicht die Umsetzung mit dem bestehenden CCS-Standard, anstatt auf das speziell für Nutzfahrzeuge entwickelte MCS-Format zu wechseln. „Das war für mich immer so ein bisschen eine magische Grenze. Deshalb sind wir sehr stolz, dass es geklappt hat – und zwar mit dem bestehenden CCS-Steckergesicht“, erklärte sie. Der Vorteil: Kund:innen müssen nicht umlernen oder mit zwei verschiedenen Steckern umgehen. Zugleich zeigt das Experiment, dass die Infrastruktur auch für kommende Pkw-Generationen weiterentwickelt werden kann, ohne einen kompletten Technologiewechsel einzuleiten.

Was in Nardó passiert ist, ist damit nicht nur ein PR-Coup, sondern auch ein Signal an die Branche: Mit abgestimmter Fahrzeug- und Ladeinfrastruktur lassen sich Ladeleistungen erreichen, die das Laden von Elektroautos auf ein Niveau mit konventionellem Tanken heben. Greiner betonte, dass dies nur durch die enge Zusammenarbeit von Fahrzeugentwicklung und Ladeinfrastruktur möglich war: „Ich glaube, es geht nur gemeinsam, ist ein bisschen Henne-Ei. Gemeinsam ist wichtig.“ Damit deutete sie an, dass Mercedes-Benz die Ladeleistung künftig nicht als Nischenlösung für High-Performance-Kunden versteht, sondern als strategische Basis, um Elektromobilität insgesamt attraktiver zu machen.

Mercedes-AMG

Der Rekord mit dem AMG GT XX war für Mercedes-Benz nicht nur ein technischer Beweis dafür, was heute schon möglich ist, sondern auch ein Fingerzeig für die eigene Strategie im Alltag. Greiner machte deutlich, dass es nicht bei einem einmaligen Experiment bleiben wird. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen direkt in die Serie übertragen werden – nicht nur auf Fahrzeugebene, sondern vor allem bei der Infrastruktur. „Wir wollen zeigen, dass das, was wir im Extrem demonstrieren, künftig auch für unsere Kund:innen spürbar wird“, erklärte Greiner.

Mercedes-Benz Ladenetzwerk mit bis zu 600 kW pro Ladepunkt ab 2026

Genau hier setzt das nächste Kapitel an: Mercedes-Benz nimmt die Erfahrungen aus dem Rekordversuch und überführt sie in den Ausbau seines eigenen Ladenetzwerks. Ab 2026 wird das modulare HYC1000-System von Alpitronic eingeführt, das pro Ladepunkt bis zu 600 kW ermöglicht. Dieses System basiert auf einer dezentralen Architektur, die es erlaubt, die verfügbare Leistung dynamisch auf verschiedene Ladepunkte zu verteilen. Für Greiner ist das ein entscheidender Schritt: „Das System kann die Leistung dynamisch allokieren, also so zusteuern, wie das Auto es braucht. Die Infrastruktur wird nicht limitierend sein.“

Während der Rekord also vor allem ein Symbol für die maximale Leistungsfähigkeit war, geht es beim Netzwerkausbau um Alltagstauglichkeit und Skalierbarkeit. Schon heute betreibt Mercedes-Benz rund 80 Ladeparks weltweit. In den kommenden Jahren sollen die neuen Systeme in neuen Standorten verbaut werden. Ob auch bestehende Hubs nachgerüstet werden, hängt von den Netzanschlüssen und der Auslastung ab – eine Entscheidung, die fallweise getroffen wird.

Besonders für Mercedes-Fahrer:innen wird es Vorteile geben: Über das MB.OS-System kann das Auto Ladepunkte automatisch reservieren, sodass Kunden ihre Route noch entspannter planen können. Für Greiner ist dies ein Beispiel dafür, wie sich die Kombination aus Fahrzeug, Infrastruktur und digitalen Diensten nutzen lässt: „Wenn man Auto, Ladeinfrastruktur und den Dienst drumherum hat, kann man coole Features bauen.“ Zugleich bleibt das Netz offen für alle Marken – ein klares Signal, dass Mercedes-Benz die Elektromobilität als Ganzes fördern will und nicht nur den eigenen Kundenkreis im Blick hat.

Bidirektionales Laden: Das Elektroauto wird zur Powerbank und Teil des Energiesystems

Nachdem Mercedes-Benz mit dem Rekordversuch und dem Ausbau des eigenen HPC-Netzes vor allem Geschwindigkeit und Alltagstauglichkeit in den Fokus gestellt hatte, richtete sich der Blick auf der IAA Mobility auch auf die nächste Stufe: das bidirektionale Laden. Während ultraschnelles Laden die Attraktivität von E-Autos durch Zeitgewinn steigert, geht es hier um einen zusätzlichen Nutzen – das Elektroauto als aktiver Bestandteil des Energiesystems.

Mercedes-Benz will diesen Schritt ab 2026 gehen und dabei nicht nur die technische Basis, sondern ein vollständiges Serviceangebot anbieten. Den Anfang macht der neue vollelektrische GLC, weitere Modelle wie die CLA-Baureihe folgen. Über MB.Charge Home können Kund:innen ihre Fahrzeuge zunächst zeitlich optimiert laden, etwa in Phasen günstiger Stromtarife. Mit MB.Charge Home Pro wird das Auto dann zur Energiequelle: Strom aus der Batterie kann ins Hausnetz eingespeist oder ins öffentliche Netz verkauft werden. „Das Auto wird wirklich eine Powerbank“, brachte es Greiner im Gespräch auf den Punkt. Da Pkw im Schnitt die meiste Zeit stehen, ergibt sich hier erhebliches Potenzial – sowohl für die Senkung der privaten Energiekosten als auch für die Stabilisierung des Stromnetzes.

Mercedes-Benz

Doch während Märkte wie Frankreich oder das Vereinigte Königreich die Voraussetzungen bereits schaffen, sind in Deutschland noch regulatorische Hürden zu überwinden. Besonders die Doppelbesteuerung beim Einspeisen von Strom sei problematisch. „Das ist ein Punkt, bei dem viele Privatkunden sagen: Das ist schwierig. Deswegen pushen wir auch gemeinsam mit dem Verband, dass die Regulatorik attraktiver wird“, sagte Greiner.

Gleichzeitig betonte sie, dass Mercedes-Benz für Vertrauen sorgen will: Die Nutzung des bidirektionalen Ladens hat keinen Einfluss auf die Batteriegarantie. Leichte Begrenzungen werde es lediglich geben, um den „State of Health“ der Batterie zu schützen – die Garantie bleibt davon jedoch unberührt.

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Sebastian Henßler

Sebastian Henßler

Sebastian Henßler hat Elektroauto-News.net im Juni 2016 übernommen und veröffentlicht seitdem interessante Nachrichten und Hintergrundberichte rund um die Elektromobilität. Vor allem stehen hierbei batterieelektrische PKW im Fokus, aber auch andere alternative Antriebe werden betrachtet.

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