Auf der IAA Mobility in München hat Lucid Motors den Gravity erstmals offiziell für den europäischen Markt vorgestellt. Die Bühne wählte das Unternehmen bewusst, um ein starkes Signal an Kunden, Medien und die Konkurrenz zu senden. „Dies ist der wichtigste Tag in Europa für die Marke Lucid“, betonte Sebastian Michel, PR- und Kommunikationschef von Lucid Europe. Für ihn und den Rest der Marke markiert der Gravity den Auftakt zu einer neuen Phase der Expansion.
Marc Winterhoff, Interims-CEO von Lucid, nutzte seine Ansprache, um den bisherigen Weg des Unternehmens in Erinnerung zu rufen. „Lucid wurde 2016 mit der klaren Mission gegründet, das beste Elektroauto der Welt zu bauen“, erklärte er. Bereits ein Jahr später begann in Arizona der Bau der ersten eigenen Produktionsstätte, die heute als Werk AMP-1 bekannt ist. 2021 folgte der Börsengang an der Nasdaq – ein entscheidender Schritt, mit dem zugleich die Markteinführung des Lucid Air verbunden war.

Ein Jahr darauf wagte Lucid den Schritt nach Europa und eröffnete erste Studios in Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden und Norwegen. 2023 wurde schließlich ein weiteres Kapitel aufgeschlagen: In Saudi-Arabien nahm das Unternehmen die Fertigung im Werk AMP-2 auf und legte damit den Grundstein für die internationale Expansion. „2025 kommt der Gravity nach Europa“, so Winterhoff über die neueste Entwicklung. Für ihn markiert das neue Elektro-SUV nicht nur die nächste Produktoffensive, sondern „das nächste große Kapitel in der Geschichte von Lucid“.
Lucid Gravity: E-SUV ohne Kompromisse
Derek Jenkins, Senior Vice President of Design and Brand, machte in seiner Präsentation deutlich, warum der Gravity für Lucid weit mehr ist als nur ein weiteres Modell im Portfolio. „SUVs galten lange als Kompromiss“, erklärte er. „Wer Raum wollte, musste auf Agilität verzichten, wer Leistung wollte, auf Reichweite. Unser Anspruch war es, alle Kompromisse zu eliminieren.“ Mit diesem Ansatz positioniert Lucid den Gravity bewusst als Gegenentwurf zu klassischen SUVs, die entweder praktisch oder sportlich, aber selten beides zugleich sind. Das Fahrzeug sei deshalb konsequent auf fünf Kernpfeiler ausgerichtet: Raum und Nutzwert, Effizienz, Design, Performance und digitale Erlebnisse.
Die technischen Daten untermauern diesen Anspruch. Der Gravity ist als vollwertiger Siebensitzer ausgelegt, der dennoch eine Reichweite von 748 Kilometern nach WLTP ermöglicht. Mit einem Luftwiderstandsbeiwert von 0,24 erreicht er Bestwerte in seiner Klasse und soll so Effizienz und Dynamik miteinander verbinden. Auch beim Laden setzt Lucid auf Tempo: In nur 14 Minuten können rund 400 Kilometer Reichweite nachgeladen werden – ein Wert, der im Alltag darüber entscheiden könnte, ob ein Elektroauto wirklich langstreckentauglich ist.

Jenkins fasste es mit einer griffigen Formel zusammen: „Wir sprechen hier von einem Siebensitzer-Supercar – 839 PS, 3,6 Sekunden von null auf 100 km/h und 2500 Kilogramm Anhängelast.“ Damit kombiniert der Gravity Fahrleistungen auf Sportwagenniveau mit den praktischen Qualitäten eines Familien-SUV.
Auch die Elektronikarchitektur zeigt, dass Lucid auf Zukunftsfähigkeit setzt. Jean-Philippe Gauthier, Vice President Digital, beschrieb den Gravity als „echtes softwaredefiniertes Auto“. Das bedeutet, dass Funktionen nicht statisch sind, sondern sich über Over-the-Air-Updates weiterentwickeln lassen. Die Grundlage dafür bildet eine zentrale Rechenplattform mit zwei Nvidia-Orin-X-Chips, die gemeinsam 500 TOPS Leistung bereitstellen. „Damit liegen wir über Teslas aktueller Hardware 4“, betonte Gauthier. Ergänzt wird das System durch den Qualcomm 8295 für das Infotainment mit 32 GB RAM und 256 GB Speicher sowie einen Infineon-Controller, der sicherheitsrelevante Funktionen wie Antrieb und Karosserie steuert.
Darüber hinaus setzt Lucid auf eine zonale Architektur mit redundanter Stromversorgung und doppelten Kommunikationswegen, um die Ausfallsicherheit zu erhöhen. Elektronische Sicherungen (E-Fuses) ersetzen klassische Sicherungskästen, reagieren schneller, sind reset-fähig und verhindern Fehlbestückungen. Ein neu entwickeltes 12-Volt-Konzept mit integriertem Micro-DC/DC-Wandler sorgt dafür, dass das Bordnetz effizienter arbeitet und die Lebensdauer der 12-Volt-Batterie auf rund sechs Jahre verlängert wird.
„Wir können einzelne Systeme softwaregesteuert abschalten, was zusätzliche Effizienz bringt“, erklärte Gauthier. Damit setzt Lucid beim Gravity nicht nur auf überzeugende Fahrleistung, sondern auch auf eine Architektur, die den Anspruch unterstreicht, technologische Maßstäbe für die kommenden Jahre zu setzen
Europa-Chef: „Mit Gravity bereit für den nächsten Schritt“
Im exklusiven Gespräch mit Elektroauto-News skizzierte Lawrence Hamilton, Präsident von Lucid Motors Europe, die Weichenstellung für die kommenden Jahre. „Mit dem Gravity sind wir bereit für den nächsten großen Schritt“, betonte er. Das neue SUV treffe in Europa auf ein Umfeld, in dem das Segment deutlich stärker nachgefragt werde als die klassische Limousine. „SUVs sind in Europa grundsätzlich beliebter als Limousinen. Das verschafft uns Potenzial für höhere Volumina.“

Hamilton ordnete die künftige Strategie entlang von drei klaren Säulen ein: „Entscheidend sind das richtige Produkt in der richtigen Klasse, eine passende Vertriebsstruktur, die den Kunden erreicht, und eine Markenbekanntheit, die Begehrlichkeit weckt.“ Mit dem Air habe Lucid in einem kleineren Segment begonnen, bewusst vorsichtig und mit überschaubarem Footprint. Nun sei der Moment gekommen, die nächste Stufe zu zünden – mit einem Modell, das die Attraktivität der Marke steigern und größere Stückzahlen ermöglichen soll.
Deutschland als Schlüsselmarkt der europäischen Expansion
Besonders konkret wurde Hamilton beim Blick auf den deutschen Markt, den er als Schlüsselregion für die Expansion bezeichnete. „Aktuell haben wir vier Studios in München, Frankfurt, Düsseldorf und Hamburg. Wir sehen Potenzial für zwölf bis 15 Standorte“, sagte er. Die mittelfristigen Pläne gehen jedoch weit über diese Zahl hinaus. Mit der Einführung eines neuen Midsize-SUVs, das ab 2026 erwartet wird, rechnet Lucid mit einem deutlichen Volumenschub. „Dann sprechen wir über 50 bis 60 Retail-Punkte in Deutschland“, so Hamilton.

Der Zusammenhang zwischen Vertriebsnetz und Absatz ist für ihn zentral: Bisher habe man mit dem Lucid Air zwar nur kleine Stückzahlen erreicht, doch auf die Verkaufsleistung pro Standort sei man stolz. „Wenn man die Verkäufe des Air ins Verhältnis zur Zahl unserer Studios setzt, liegen wir im Schnitt über den Werten der etablierten Wettbewerber – nur fehlt uns bislang die Breite im Netz“, erklärte er. Anders gesagt: Die Nachfrage sei vorhanden, doch die Reichweite zum Kunden sei noch zu gering.
Mit einem deutlich erweiterten Netz und einem Modell, das in einem volumenstarken Segment antritt, will Lucid diese Lücke schließen. SUVs wie der Gravity und insbesondere das geplante Midsize-SUV sollen es ermöglichen, das Verkaufsvolumen um ein Mehrfaches zu steigern. Interne Analysen gehen davon aus, dass sich im SUV-Segment drei- bis viermal so viele Einheiten absetzen lassen wie bei einer Limousine. „Das Wachstumspotenzial ist damit exponentiell“, so Hamilton. Entsprechend sei der Ausbau der Standorte keine kosmetische Maßnahme, sondern die Voraussetzung, um den Schritt von einer Nischenmarke zu einem ernstzunehmenden Wettbewerber im Premiumsegment zu vollziehen.
Service und After-Sales auf gleichem Rang wie Vertrieb
Neben Vertrieb und Marketing stellte Hamilton die Service-Strategie als zweite tragende Säule der Europaplanung heraus. „After-Sales ist ebenso wichtig wie Vertrieb. Wir wollen keine Marke sein, die Autos verkauft und sich dann vom Kunden entfernt“, erklärte er im Gespräch. Lucid sehe die langfristige Bindung der Kunden als entscheidenden Erfolgsfaktor. Ein Premiumprodukt könne nur dann überzeugen, wenn auch die Betreuung nach dem Kauf reibungslos funktioniere.
Um dieses Ziel zu erreichen, setzt das Unternehmen auf ein mehrschichtiges Konzept. Eine zentrale Rolle spielen mobile Service-Einheiten, die im Fall von kleineren Defekten oder Softwareproblemen direkt zum Kunden fahren. „Wir wollen den Aufwand für die Nutzer so gering wie möglich halten. Der Servicetermin soll dort stattfinden, wo der Kunde ist – sei es zu Hause oder am Arbeitsplatz“, so Hamilton. Ergänzend dazu plant Lucid, ein Netz autorisierter Partnerbetriebe aufzubauen, die mit der Marke wachsen und regional flächendeckend Reparatur- und Wartungsarbeiten übernehmen können.

Ein weiterer Pfeiler ist die technologische Ausrichtung der Fahrzeuge. Over-the-Air-Updates ermöglichen nicht nur Funktionsverbesserungen, sondern auch die Behebung bestimmter Probleme, ohne dass der Wagen überhaupt in eine Werkstatt muss. „So können wir viele Themen direkt remote lösen, was Zeit spart und die Kundenzufriedenheit deutlich erhöht“, erläuterte der Europa-Chef.
Er betonte, dass Lucid damit bewusst neue Standards im Premiumsegment setzen wolle. Das klassische Werkstattmodell, bei dem der Kunde sein Fahrzeug abgeben und Tage später wieder abholen muss, solle auf das absolute Minimum reduziert werden. „Wir kombinieren persönliche Betreuung, digitale Möglichkeiten und Partnerstrukturen, die skalierbar sind. Damit schaffen wir ein Service-Erlebnis, das zu unseren Fahrzeugen passt – komfortabel, effizient und zukunftsfähig.“
Marke wird den Unterschied machen auf lange Sicht
Die dritte Säule, auf die Hamilton besonderen Wert legte, ist der Aufbau der Marke. „Wir haben mit dem Air ein außergewöhnliches Produkt auf die Straße gebracht, aber wir haben bisher noch nicht genug investiert, um die Marke in Europa bekannt zu machen“, räumte er ein. Das habe sich bewusst so entwickelt, da man zunächst die technischen Grundlagen schaffen und die Strukturen in den ersten Märkten aufbauen wollte. Mit dem Gravity ändere sich nun der Ansatz.
„Air und Gravity sind Ikonen. Sie schaffen Aura und Anziehungskraft. Damit erreichen wir Meinungsführer – CEOs, Multiplikatoren, Influencer. Das bereitet den Boden für die Midsize-Plattform, die breitere Kundengruppen anspricht“, so Hamilton. Sichtbar wird diese Strategie etwa durch die jüngste Kampagne mit Schauspieler Timothée Chalamet, die Lucid zum ersten Mal auf eine große Bühne brachte. Hamilton sprach von einem „klaren Bekenntnis zu mehr Marketinginvestitionen“. Für 2024 habe man die Budgets bereits verdoppelt, für die kommenden Jahre solle dieser Weg weitergehen.

Er verwies zudem auf den globalen Marketing-Neuzugang Akin Aker Gomo, der neue Ideen, Partnerschaften und Konzepte einbringen soll. „Wir wollen Lucid als Marke verankern, die Elektromobilität ohne Kompromisse denkt. Unser Ziel ist es, dass Lucid in Europa nicht nur für Kenner ein Begriff ist, sondern auch für den breiten Markt wahrgenommen wird – als Synonym für Effizienz, Technologie und Design auf höchstem Niveau“, sagte Hamilton.
Damit steht die Strategie für Europa auf drei Säulen: ein attraktives Produktportfolio mit Modellen wie dem Gravity und dem geplanten Midsize-SUV, eine schrittweise ausgebaute Vertriebs- und Service-Struktur sowie ein massiver Schub bei Markenbekanntheit und Marketing.
Lucid und die Frage: Ist die Preisstrategie für Europa belastbar?
Auch die Preisstrategie kam zur Sprache. Der Gravity Grand Touring startet in Deutschland bei 116.900 Euro, eine günstigere Touring-Variante soll zu einem späteren Zeitpunkt folgen. Hamilton betonte, dass man sich damit bewusst im Premiumsegment positioniere, jedoch wettbewerbsfähig bleibe: „Wir haben den Gravity so eingepreist, dass er im Vergleich zu den direkten Wettbewerbern wie Mercedes EQS SUV oder Tesla Model X sehr stark dasteht.“ Gleichzeitig bestätigte er die mittelfristigen Pläne: „Ende 2026 bringen wir ein Midsize-SUV mit einem Einstiegspreis um die 50.000 US-Dollar. Dieses Modell wird für mehr Volumen sorgen.“
Beim Thema Antrieb erteilte Interim-CEO Winterhoff Spekulationen über mögliche Übergangslösungen eine klare Absage. „Wir sind 100 Prozent überzeugt, dass Elektromobilität der Weg ist. Ein Range-Extender oder andere Zwischenlösungen sind für uns keine Option. Flip-Flopping wäre falsch – für die Marke und für die Industrie.“ Damit positionierte er Lucid klar als Hersteller, der konsequent auf vollelektrische Antriebe setzt.

„Wir wollen nicht den Fehler machen, in Technologien zu investieren, die uns vom eigentlichen Ziel ablenken“, sagte er. Ein Range-Extender, also die Kombination aus Elektroantrieb und Verbrenner-Generator, sei nicht nur eine technische Rückschrittoption, sondern würde auch den Ausbau der Ladeinfrastruktur ausbremsen. „Wenn wir anfangen, wieder über Hybridlösungen nachzudenken, verlangsamen wir die Transformation. All-in für die Elektromobilität ist der einzige Weg nach vorn“, so der Einwurf von Eric Bach, Senior Vice President Product and Chief Engineer.
Für Winterhoff ist klar: Nur mit einer eindeutigen Ausrichtung können Kunden und Partner Vertrauen aufbauen. „Ein Hin und Her fällt negativ auf eine Marke zurück. Wir wollen Stabilität zeigen – und die gibt es nur, wenn wir unseren eingeschlagenen Kurs konsequent weitergehen.“
Lucid: Europa Neustart ohne Kompromisse
Mit der Vorstellung des Gravity in München hat Lucid nicht nur ein neues Modell enthüllt, sondern zugleich einen Ausblick auf die Zukunft der Marke in Europa gegeben. Die Botschaft ist eindeutig: Lucid will sich vom Nischenanbieter zum ernsthaften Wettbewerber im Premiumsegment entwickeln – mit klarer Produktstrategie, wachsendem Vertriebs- und Servicenetz sowie verstärktem Marketing.
Für Hamilton und Winterhoff ist der Gravity mehr als ein weiteres SUV. Er soll den Übergang markieren von einer vorsichtigen Markteinführung hin zu einer breiteren Präsenz in Europa. Mit dem geplanten Midsize-SUV ab 2026 will Lucid schließlich auch im volumenstärkeren Bereich Fuß fassen. Bis dahin soll der Gravity als technologisches Schaufenster dienen, das die Stärken der Marke sichtbar macht und die Basis für Wachstum legt.
Ob die ehrgeizigen Pläne aufgehen, hängt nicht nur von den Produkten ab, sondern auch davon, wie gut es Lucid gelingt, Vertrauen in Marke und Service aufzubauen. Doch eines machten die Verantwortlichen in München deutlich: Das Unternehmen ist bereit, die nächsten Schritte konsequent zu gehen – ohne Kompromisse.