Grüner Wasserstoff aus Afrika deutlich teurer als angenommen

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Michael Neißendorfer
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Um Europas Bedarf an Grünem Wasserstoff zu decken, setzen Politik und Wirtschaft auf die Produktion unter anderem in Afrika. Eine Studie unter Leitung der Technischen Universität München (TUM) zeigt nun, dass die Finanzierungskosten für Produktionsanlagen in afrikanischen Staaten deutlich höher sind, als bisherige Kalkulationen angenommen hatten. Nur zwei Prozent von rund 10.000 untersuchten Standorten könnten für den Export nach Europa wettbewerbsfähig sein. Voraussetzung sind Abnahme- und Preisgarantien durch die europäischen Staaten, so die TUM in einer Pressemitteilung.

Grüner Wasserstoff gilt als bedeutende Komponente für eine klimafreundliche Industrieproduktion, beispielsweise in der Stahlindustrie. Auch für Schiffe und Flugzeuge ist Wasserstoff attraktiv, die Pkw- und Lkw-Branche hingegen verabschiedet sich mehr und mehr von Wasserstoff und Brennstoffzelle als Antriebsoption, hier gilt der Treibstoff allenfalls noch als Nischenlösung. „Grün“ ist Wasserstoff, wenn die Elektrolyse, bei der er gewonnen wird, vollständig mit erneuerbaren Energien betrieben wird.

Da Europa seinen Bedarf voraussichtlich nicht selbst decken kann, ist Afrika in den vergangenen Jahren in den Blickpunkt gerückt. Große Erwartungen in Politik und Wirtschaft ruhen darauf, dass in afrikanischen Küstenstaaten mit guten Sonnen- und Windverhältnissen Produktionsstandorte für den Export entstehen könnten. Erste Projekte werden derzeit geplant, der überwiegende Teil befindet sich allerdings noch in der Konzeptionsphase.

Forschenden der TUM, der University of Oxford und der ETH Zürich fiel bei der Analyse der Projekte auf, dass die Kostenkalkulationen oft sehr unpräzise sind. „Die gängigen Modelle für Grüner-Wasserstoff-Anlagen nutzen meist pauschale Finanzierungskosten. Die Bedingungen für Investitionen sind aber in jedem Land unterschiedlich und in vielen afrikanischen Ländern besonders risikoreich“, sagt Florian Egli, Professor für Public Policy for the Green Transition an der TUM.

Das Forschungsteam hat deshalb eine neue Berechnungsmethode für die Finanzierungskosten von Grüner-Wasserstoff-Produktion entwickelt, also der Kosten, die die Betreibenden haben, um Geld für ihre Investitionen zu beschaffen. Diese berücksichtigt die Rahmenbedingungen der Wasserstoffproduktion in 31 afrikanischen Staaten, wie etwa Transport- und Lagerungsmöglichkeiten und den Grad an Rechtssicherheit und politischer Stabilität. Dabei geht das Modell davon aus, dass die Produktionsanlagen im Jahr 2030 in Betrieb sind und der Wasserstoff in Ammoniak umgewandelt nach Rotterdam verschifft wird.

Preis von rund drei Euro pro Kilogramm nur bei Garantien

Die Studie untersucht vier Szenarien, in denen die Leitzinssätze entweder hoch oder niedrig sind und in denen entweder die Betreibenden die Investitionsrisiken vollständig selbst tragen oder die Politik Preis- und Abnahmegarantien für den Grünen Wasserstoff gibt. Die Berechnungen des Forschungsteams ergeben, dass die Betreibenden im aktuellen Zinsumfeld bestenfalls rund acht Prozent Zinsen auf ihre Finanzierungen zahlen müssten – je nach Szenario und Land jedoch bis zu rund 27 Prozent. Die meisten bisherigen Modelle waren lediglich von vier bis acht Prozent ausgegangen.

Auf dieser Grundlage berechnete das Forschungsteam die Gesamtkosten der Produktion in Afrika und wie viel Grüner Wasserstoff beim Export nach Europa kosten würde. Müssten die Betreibenden bei einem Zinsniveau, das ungefähr der aktuellen Situation entspricht, das Investitionsrisiko allein tragen, läge der tiefste mögliche Preis auf dem Kontinent bei knapp fünf Euro für ein Kilogramm Wasserstoff. Würden die europäische Staaten Garantien geben und würde das Zinsniveau sinken, würde sich der niedrigste mögliche Preis auf gut drei Euro verringern.

Selbst unter diesen äußerst günstigen Voraussetzungen würden afrikanische Staaten jedoch in harter Konkurrenz zu anderen Regionen stehen. Beispielsweise lag bei einer Auktion der Europäischen Wasserstoffbank, bei der 2024 Subventionen für Grüner-Wasserstoff-Projekte in Europa vergeben wurden, der niedrigste Preis eines erfolgreichen Gebots bei unter drei Euro pro Kilogramm.

„Grünen Wasserstoff in Afrika für den Export nach Europa zu produzieren, ist deutlich teurer als angenommen“, sagt Stephanie Hirmer, Professorin für Climate Compatible Growth an der University of Oxford. „Die sozio-politischen Risiken wurden bislang nicht ausreichend in die Kalkulationen einbezogen.“

Rund 200 Standorte mit Potenzial für Wettbewerbsfähigkeit

Das Forschungsteam hat sein Modell auf mehr als 10.000 einzelne Standorte angewendet. Vorausgesetzt es gäbe Preis- und Abnahmegarantien, kämen beim heutigen hohen Zinsniveau lediglich rund 200 Standorte in die Nähe des Preises von drei Euro pro Kilogramm und hätten damit das Potenzial, bis 2030 wettbewerbsfähig zu werden. Diese Standorte liegen in Algerien, Kenia, Mauretanien, Marokko, Namibia und dem Sudan. Allerdings konnte die Studie Sicherheitsrisiken nur auf nationaler Ebene mit einrechnen. Weil viele ansonsten optimale Standorte in unsicheren Regionen liegen, könnte sich die Zahl der infrage kommenden Standorte weiter ausdünnen.

„Afrikanische Produktionsstandorte können für den Export nach Europa nur dann wettbewerbsfähig werden, wenn die europäischen Staaten garantieren, dass sie bestimmte Mengen Grünen Wasserstoffs zu festgelegten Preisen abnehmen“, sagt Florian Egli. „Darüber hinaus würden Kreditausfallgarantien helfen, die beispielsweise die Weltbank gewähren könnte. Nur mit solchen politischen Instrumenten kann der Afrika-Europa-Handel mit Grünem Wasserstoff etabliert werden, sodass im weiteren Verlauf die Kosten möglicherweise sinken.“

Unabhängig von der Kostenfrage sehen die Forschenden stabile Vereinbarungen als Voraussetzung für eine langfristig ausgerichtete Industrie- und Entwicklungspolitik der afrikanischen Staaten. „Es geht auch um eine Frage der Fairness“, sagt Stephanie Hirmer. „Wenn der momentane Hype nicht mit sinnvollen politischen Maßnahmen unterfüttert wird, riskieren wir Projekte, die am Schluss weder kostengünstig sind noch einen Mehrwert für die Bevölkerung vor Ort schaffen.“

Quelle: TU München – Pressemitteilung vom 02.06.2025

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Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer ist E-Mobility-Journalist und hat stets das große Ganze im Blick: Darum schreibt er nicht nur über E-Autos, sondern auch andere Arten fossilfreier Mobilität sowie über Stromnetze, erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit im Allgemeinen.

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