Die Diskussion über Deutschlands wirtschaftliche Ausrichtung gewinnt an Schärfe, weil führende Unternehmen ihre Investitionen in China ausweiten. Trotz wiederholter Hinweise aus der Politik, das Risiko einseitiger Abhängigkeiten zu senken, fließen weiterhin große Summen in Projekte, die deutsche Firmen noch enger an den chinesischen Markt binden. Nach Auswertungen des Mercator Institute for China Studies stieg das deutsche Kapital, das zwischen 2023 und 2024 nach China floss, um rund 1,3 Milliarden Euro auf insgesamt 5,7 Milliarden Euro. Dieser Anstieg zeigt, wie stark kurzfristige Geschäftsaussichten das strategische Verhalten vieler Konzerne bestimmen.
Wenn Warnungen verhallen und wirtschaftliche Realität dominiert
Während wirtschaftspolitische Vertreter:innen hinter verschlossenen Türen an Konzepten arbeiten, scheuen sie weiterhin davor zurück, in Investitionsentscheidungen direkt einzugreifen. Ein hochrangiger Regierungsvertreter soll mit Blick auf historisch gewachsene Zurückhaltung erklärt haben, dieses Vorgehen liege nicht im nationalen Selbstverständnis. Aus mehreren Gesprächsrunden zwischen Wirtschaft und Politik wurde zudem berichtet, dass beide Seiten sich gegenseitig für die derzeitige Lage verantwortlich machen, ohne konkrete Lösungswege vorzulegen.
Für Unternehmen überwiegt derzeit der Blick auf kurzfristige Erträge. Führungskräfte verweisen darauf, dass sie ohne politische Vorgaben oder finanzielle Unterstützung kaum Anlass sehen, ihre Strategie zu ändern. Gleichzeitig wächst in Berlin die Sorge, dass eine vertiefte Bindung an China der Volksrepublik langfristig zusätzlichen Einfluss auf Europas größte Volkswirtschaft verschaffen könnte. Die Analystin Agatha Kratz vom Rhodium Group brachte diese Befürchtung mit den Worten ein, das Gegenmodell sei eine Welt, in der China Europas außen- und wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum bestimmen könne.
Wie China zur zentralen Stellschraube deutscher Industrien wird
Besonders deutlich zeigt sich die Verflechtung in der Automobilbranche. Zwischen 2020 und 2024 entfielen laut MERICS im Durchschnitt zwei Drittel der deutschen Investitionen in China auf sie. Die Summe wuchs allein zwischen 2023 und 2024 um 69 Prozent auf 4,2 Milliarden Euro. Hersteller wie BMW, Mercedes-Benz und der Volkswagen-Konzern betrachten China inzwischen als wichtigsten Absatzmarkt und bauen dort ihre Aktivitäten weiter aus. BMW investiert in Shenyang Milliardenbeträge in ein Batterieprojekt und nutzt China als Exportstandort für elektrische SUVs. Mercedes verlegte seine jährliche Strategietagung nach Peking und entwickelt Modelle ausschließlich für den chinesischen Markt. VW bezeichnet China seit Jahren als „zweite Heimat“ und verknüpft digitale und technologische Entwicklungen eng mit lokalen Partnern.
Auch außerhalb des Automobilsektors zeigt sich die zunehmende Abhängigkeit. Der Chemiekonzern BASF eröffnete jüngst ein neues Großprojekt im Wert von 8,7 Milliarden Euro in China. Konzernchef Markus Kamieth erklärte, dieses Engagement sei zentral für das Wachstum des Unternehmens. Beim Zulieferer Bosch wiederum verlagert sich ein wachsender Teil der Entwicklung nach China, während Tätigkeiten in Deutschland reduziert werden.
Die strategische Suche nach Alternativen gestaltet sich jedoch kostspielig. Ersatz für wichtige Materialien oder Komponenten ist zwar möglich, führt aber zu höheren Einkaufspreisen und dem Aufbau neuer Lieferketten. Matthias Zink von Schaeffler und Präsident des Verbands CLEPA warnte, man solle keine Illusionen haben: Es dauere mehrere Jahre, bis ein entflechtetes Netz überhaupt funktionieren könne.
Gleichzeitig wird sichtbar, wie verletzlich deutsche Unternehmen sind. Der kurzzeitige Lieferstopp des Chipanbieters Nexperia führte zu Produktionsproblemen und machte deutlich, wie schnell Engpässe entstehen können. Ökonomen wie Jürgen Matthes warnen seit Längerem vor einem schleichenden Abbau industrieller Strukturen in Deutschland, wenn sich die Produktion weiter nach China verlagert.
In der Politik wächst der Druck zu handeln. Die Bundesregierung arbeitet an einem Aktionsplan für Rohstoffe und einer neuen Strategie zur wirtschaftlichen Sicherheit. Kanzler Friedrich Merz machte jedoch deutlich, dass Unternehmen nicht mit staatlichen Rettungen rechnen können. In Gesprächen betonte er, das Risiko liege bei den Firmen selbst, falls China den Zugang zu Märkten oder Lieferketten beschränke.
Quelle: Automotive News China – German automakers are making too much money in China to back away








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