Chery geht den europäischen Markteintritt mit großer strategischer Sorgfalt an. Statt mit einer breiten Marktoffensive in möglichst vielen Ländern gleichzeitig Präsenz zu zeigen, setzt der chinesische Hersteller auf einen schrittweisen, kontrollierten Ausbau. Die dahinterstehende Devise lautet: „Slow is fast.“ Was zunächst widersprüchlich klingt, ist für Xin Wu, CEO von Chery Germany, ein bewusst gewählter Ansatz, um nachhaltigen Erfolg zu ermöglichen. „Wir beginnen mit Pilotprojekten in mehreren Ländern und expandieren dann schrittweise, um Qualität und Markenwahrnehmung zu sichern“, erklärt Wu im Gespräch mit Elektroauto-News. Gemeint ist damit: Lieber langsam, aber stabil wachsen – statt zu schnell zu viel zu wollen und dabei an Akzeptanz oder Qualität zu verlieren.
Diese Herangehensweise zeigt sich auch bei der Auswahl der ersten Zielmärkte. Der Verkaufsstart der Chery-Modelle begann im Lauf des Jahres 2024 in ausgewählten Ländern – darunter Spanien, Italien, die Benelux-Staaten und Polen. Weitere Märkte wie Deutschland und Frankreich sollen folgen, sobald Infrastruktur, Partnernetzwerke und regulatorische Anforderungen vollständig berücksichtigt sind. Wu unterstreicht: „Es geht uns nicht um kurzfristige Erfolge oder aggressive Marktanteilsgewinne. Wir wollen Vertrauen aufbauen, verlässliche Strukturen schaffen und ein tragfähiges Fundament für langfristiges Wachstum legen.“
Den Auftakt auf dem europäischen Markt machen die beiden Modelle Omoda 5 und Jaecoo 7. Beide basieren auf bewährten Plattformen aus China, wurden jedoch gezielt für Europa angepasst. Insbesondere der Jaecoo 7 wurde mit Blick auf die hiesigen Erwartungen weiterentwickelt. Er nutzt die Plug-in-Hybrid-Technologie des firmeneigenen „Super Hybrid Systems“ und wurde unter anderem hinsichtlich Reichweite, Sicherheitsleistung und Fahrkomfort überarbeitet. Auch die Anforderungen an europäische Normen – von Crashsicherheit bis zu Emissionsgrenzen – flossen in die Modifikation ein.
Die Omoda- und Jaecoo-Serien sollen in den kommenden Monaten sukzessive erweitert werden. Geplant sind unter anderem der Omoda 7, der Jaecoo 5 sowie das Flaggschiff Omoda 9 – ein Modell, das laut Chery Technologie, Komfort und Design auf ein neues Niveau heben soll.
Chery plant mit zwei Marken für Europa – für unterschiedliche Zielgruppen
Auch bei der Markenstrategie überlässt Chery nichts dem Zufall. Die Positionierung der beiden Marken Omoda und Jaecoo ist bewusst kontrastreich gewählt, um unterschiedliche Zielgruppen im europäischen Markt anzusprechen – ohne sich dabei gegenseitig Konkurrenz zu machen. Omoda zielt dabei ganz klar auf ein junges, urbanes Publikum, das Design, Konnektivität und digitalen Lifestyle miteinander verbinden möchte. „Omoda konzentriert sich auf junge Kunden, bietet ein avantgardistisches Design und ist ausgestattet mit modernster Technologie“, sagt Wu hierzu. Das Modell versteht sich als modischer Crossover-SUV, der insbesondere durch intelligente Schnittstellen, digitale Dienste und eine progressive Formsprache Aufmerksamkeit erzeugen soll. Der Anspruch: ein Auto für Menschen, die mit ihrem Fahrzeug auch ein Statement setzen möchten – über Stil, Technikaffinität und Zukunftsorientierung.
Dem gegenüber steht die Marke Jaecoo, die sich deutlich luxuriöser positioniert. Hier geht es weniger um expressive Designsprache als vielmehr um Komfort, hochwertige Verarbeitung und technologische Souveränität. Wu beschreibt es so: „Jaecoo integriert unsere führende Antriebstechnologie und fokussiert sich auf Super-Hybride, um durch das ‚Super Hybrid System‘ einen technischen Differenzierungsvorteil zu erzielen.“ Es geht bei Jaecoo nicht nur um Mobilität, sondern um ein ganzheitliches Fahrerlebnis, das durch kultivierten Fahrkomfort, elegante Materialien und eine gehobene Ausstattung geprägt ist. Während Omoda für Trend und Tempo steht, verkörpert Jaecoo eher das Understatement technologischer Reife.
Beide Marken eint jedoch ein gemeinsames Werteversprechen, das Chery auch im europäischen Markt konsequent umsetzen will: „Technologie – Trend – Nachhaltigkeit“. Dieses Dreiklang-Motto soll nicht nur auf dem Papier stehen, sondern in Design, Antrieb und Services erlebbar werden. Die Fahrzeuge sollen nicht nur zeitgemäß aussehen, sondern durch smarte Funktionen, effiziente Antriebssysteme und durchdachte Materialwahl auch langfristig überzeugen.
Dieses Anspruchsniveau setzt sich auch in der Vertriebsstrategie fort. Chery setzt auf ein hybrides Modell, das auf die Besonderheiten einzelner Märkte zugeschnitten ist. In strategisch wichtigen Ländern wie Deutschland, in denen eine starke Präsenz erforderlich ist, errichtet das Unternehmen eigene Tochtergesellschaften und baut ein lokales Händlernetz auf. In kleineren oder weniger entwickelten Märkten hingegen arbeitet Chery mit exklusiven Generalimporteuren zusammen, die die Marke eigenständig vertreten.
Trotz dieser unterschiedlichen Strukturen soll das Markenerlebnis für Kund:innen möglichst einheitlich sein. „Unabhängig vom Modell bleibt Chery dem Prinzip der gemeinsamen Wertschöpfung und des gegenseitigen Nutzens verpflichtet“, betont Wu. Entscheidend sei, dass sich Kunden überall auf denselben Qualitätsanspruch verlassen können – ob beim Kauf, im Service oder bei digitalen Touchpoints.
Man will Vertrauen schaffen – vor allem in Deutschland
Gerade in Deutschland, wo das Automobil tief in der kulturellen Identität verankert ist, begegnet Chery der Herausforderung mit Respekt – und mit einer klaren Strategie. Wu erklärt: „Deutschland ist die Wiege des Automobils – für uns ist es das Mekka globaler Automarken und weiterhin Heimat der einflussreichsten Marken.“ In diesem Umfeld wolle man nicht provozieren, sondern durch Leistung überzeugen. Deshalb setze Chery gezielt auf Transparenz, hohe Standards und regionale Anpassung.
„Wir erwarten, dass deutsche Verbraucher unsere Produkte offen, aber kritisch bewerten. Deshalb bieten wir nicht nur hochwertige Fahrzeuge, sondern auch umfangreiche Services und Sicherheitsstandards – vom Euro-NCAP-Test über TÜV-Zertifizierungen bis hin zu lokaler Produktion.“ Vertrauen sei nicht verhandelbar, betont Wu. Es müsse sich verdient werden – durch Qualität, Verlässlichkeit und respektvollen Umgang mit den Erwartungen der Kunden.
Auch die politischen Rahmenbedingungen in Europa hat Chery fest im Blick – allen voran die laufende Anti-Subventionsuntersuchung der EU-Kommission gegen chinesische Elektroautohersteller. Wu macht deutlich, dass man diese Entwicklungen sehr genau beobachte, ohne jedoch in Alarmismus zu verfallen: „Unser Investitionstempo wird abhängig von der endgültigen Entscheidung angepasst, aber der Gesamtfahrplan wird dadurch nicht grundsätzlich beeinflusst.“ Das bedeutet: Chery stellt sich auf mögliche Handelshemmnisse ein, will aber nicht von seinem langfristigen Kurs abweichen.
Sollten Strafzölle in Kraft treten, will das Unternehmen flexibel reagieren. Ein Teil des damit verbundenen Kostendrucks soll durch lokalisierte Produktion in Europa sowie den verstärkten Vertrieb von Hybridmodellen aufgefangen werden. „Mit unserer PHEV-Technologie bieten wir Lösungen, die nicht nur technisch überzeugen, sondern auch wirtschaftlich widerstandsfähig sind“, erklärt Wu. Zudem lasse sich mit einer regionalen Fertigung nicht nur der Zugang zum Markt sichern, sondern auch das Vertrauen europäischer Kunden stärken – ein doppelter Vorteil in einem zunehmend regulierten Umfeld.
Trotz aller Unwägbarkeiten bleibt Chery ambitioniert. In einem Zeitraum von fünf Jahren möchte sich das Unternehmen mit den Marken Omoda und Jaecoo als fester Bestandteil des europäischen Mainstreams etablieren. Wu betont: „Wir streben an, stabile Verkaufszahlen und einen hohen Markenwert zu erreichen – nicht als Nischenanbieter, sondern als Teil des europäischen Alltags.“ Gemeint ist damit eine Position im Markt, die nicht über Rabatte oder kurzfristige Volumenprogramme erreicht wird, sondern über kontinuierliche Leistung, Produktqualität und lokale Präsenz.
Langfristig könnten auch weitere Marken aus dem Chery-Kosmos folgen – darunter etwa Chery selbst, Lepas oder Exlantix. Dabei geht es nicht um eine Ausweitung um jeden Preis, sondern um ein strategisch abgestimmtes Markenportfolio, das gezielt auf unterschiedliche Kundensegmente zugeschnitten ist. Der übergeordnete Kurs bleibt dabei unverändert: Chery will nicht durch Subventionen oder aggressives Preisdumping auffallen, sondern durch angepasste Produkte, technologische Kompetenz und glaubwürdiges Engagement vor Ort. Wu fasst es so zusammen: „Unsere Philosophie ist es, europäischen Kundinnen und Kunden nicht nur Autos zu verkaufen, sondern Beziehungen aufzubauen – mit Respekt, Qualität und Verlässlichkeit.“ Ein Anspruch, der in einem gesättigten Markt nicht selbstverständlich ist – aber genau deshalb ernst genommen werden sollte.
Damit europäische Kund:innen nicht nur äußerlich angepasste Modelle erhalten, sondern tatsächlich auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Fahrzeuge, setzt Chery auf eine konsequente Lokalisierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Das Forschungs- und Designzentrum in der Nähe von Frankfurt spielt dabei eine Schlüsselrolle. „Wir wollen sicherstellen, dass unsere neuen Fahrzeuge nicht nur im Design, sondern auch in Technologie und Regelkonformität vollständig den europäischen Marktanforderungen entsprechen“, so Wu. Dieses Zentrum soll mittelfristig nicht nur gestalterische und technische Entwicklungen anstoßen, sondern auch als Schnittstelle zur europäischen Zulieferindustrie fungieren. Ziel ist es, jedes Modell so weit wie möglich in Europa abzustimmen, bevor es auf die Straße kommt – in Technik, Software, Sicherheit und Nutzererlebnis.
Lokalisierung als Fundament für langfristigen Erfolg am Markt
Dieser Anspruch manifestiert sich auch in der Wahl europäischer Produktionsstandorte. Neben dem bestehenden Werk in Spanien prüft Chery weitere strategische Kooperationen mit Partnern aus der Industrie. Wu unterstreicht: „Chery legt großen Wert auf ein offenes und kooperatives industrielles Ökosystem und strebt Win-win-Kooperationen mit Partnern der Branche an.“ Der Aufbau lokaler Produktionskapazitäten sei dabei mehr als nur ein Mittel zur Zollvermeidung – es gehe um die Schaffung von Arbeitsplätzen, industrieller Wertschöpfung und Vertrauen. „Unser Engagement in Europa zielt darauf ab, lokale Arbeitsplätze und wirtschaftliches Wachstum zu schaffen – mit Zusammenarbeit und Vertrauen als Grundlage für unsere lokale Entwicklung“, so Wu.
Die technologische Grundlage für Cherys Modelloffensive in Europa bildet eine duale Plattformstrategie. Einerseits die iMS Multi-Energy-Architektur, auf der reine Elektrofahrzeuge wie die Modelle der Omoda-Reihe basieren. Andererseits eine dedizierte PHEV-Plattform mit dem firmeneigenen „Super Hybrid System“, das insbesondere in der Jaecoo-Reihe zum Einsatz kommt. Beide Plattformen wurden so konzipiert, dass sie modular und flexibel anpassbar sind. Wu erklärt: „Unsere Elektromodelle setzen auf Reichweite und intelligente Funktionen, während die Plug-in-Hybride vor allem Flexibilität für Langstrecken bieten.“ Damit möchte Chery die gesamte Bandbreite europäischer Mobilitätsbedürfnisse abdecken – vom urbanen Pendler bis zum Vielfahrer.
Ergänzt wird dieser technische Fokus durch ein starkes Engagement im Bereich Software und digitale Dienste. Anders als viele Wettbewerber setzt Chery dabei nicht auf geschlossene Systeme aus China, sondern auf eine gezielte Anpassung an europäische Standards und Nutzergewohnheiten. So gehören Apple CarPlay und Android Auto bereits heute zum Serienumfang der europäischen Modelle. Zusätzlich plant das Unternehmen, lokale Cloud-Dienste und Ökosysteme zu integrieren – etwa für Navigation oder Musik-Streaming. Wu betont: „Wir haben Serverstandorte in Deutschland eingerichtet, verarbeiten Daten DSGVO-konform und setzen auf mehrstufige Sicherheitskonzepte wie IDS/IPS, HTTPS/TLS und Schwachstellenmanagement.“ Ferner arbeite man auf die UNECE-R155-Zertifizierung für Cybersicherheit hin, die europaweit neue Maßstäbe im Bereich IT-Sicherheit setzt.
All diese Maßnahmen zeigen: Chery will nicht nur mit Produkten überzeugen, sondern mit einem Gesamtpaket, das von Anfang an auf europäische Anforderungen ausgerichtet ist – von der Plattform bis zur Datenverarbeitung, vom Design bis zur Partnerschaft mit der Industrie. Ob die Strategie aufgeht, wird die Zeit zeigen.