Wieviel Reichweite der Elektro-Lkw Mercedes eActros 600 im Winter einbüßt

Cover Image for Wieviel Reichweite der Elektro-Lkw Mercedes eActros 600 im Winter einbüßt
Copyright ©

Daimler Truck

Michael Neißendorfer
Michael Neißendorfer
  —  Lesedauer 5 min

Mercedes-Benz Trucks hat erneut seine beiden seriennahen Prototypen des Elektro-Lkw eActros 600 auf Erprobungstour durch Nordeuropa geschickt – diesmal allerdings zur kalten Jahreszeit bei teils sehr winterlichen Verhältnissen. Ziel der „European Testing Tour Winter 2025“ war es laut aktueller Mitteilung, die Praktikabilität des batterieelektrischen eActros 600 – zwischenzeitlich ausgezeichnet als International Truck of the Year 2025 und in Serienproduktion – in einem repräsentativen Wintereinsatz in Nordeuropa auf unterschiedlichen Strecken und Topografien sowie in verschiedenen Klimazonen unter Beweis zu stellen und dabei wichtige Erkenntnisse über die Auswirkung der winterlichen Temperaturen und Straßenverhältnisse auf den Energieverbrauch des eActros 600 zu gewinnen.

Von den rund 6500 absolvierten Kilometern durch Nordeuropa verlief mehr als die Hälfte der Tour auf identischen Strecken zu dem im vergangenen Sommer gefahrenen Nordteil der fast siebenwöchigen European Testing Tour. Die beiden Elektro-Lkw waren auch diesmal wieder mit 40 Tonnen Gesamtzuggewicht unterwegs.

„Nicht nur uns interessiert es, wie sich der Energieverbrauch des eActros 600 in unterschiedlichen Wintereinsätzen verhält, sondern vor allem auch unsere Kunden und Fahrer“, sagt Christof Weber, Head of Global Testing Mercedes-Benz Trucks. „Wir sind sehr zufrieden mit den Erkenntnissen der Tour. Sie zeigen uns, dass der eActros 600 auch im europäischen Winter sehr effizient und komfortabel unterwegs sein kann.“

Die 16-tägige Tour startete demnach Mitte Januar von Wörth am Rhein in Richtung Norden. Die Route verlief zunächst durch Deutschland, Dänemark, Schweden und Finnland bis zum Polarkreis. Weiter ging es anschließend über Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien und Österreich wieder zurück nach Stuttgart beziehungsweise Wörth. Auf ihrer Fahrt durch zehn Länder Nordeuropas waren die E-Lkw teils bei Extremtemperaturen von -18 bis 9 Grad Celsius unterwegs. Die täglichen Durchschnittsgeschwindigkeiten lagen zwischen 64 und 77 Stundenkilometern.

„Grundsätzlich haben Aerodynamik und Rollwiderstand einen erheblichen Einfluss auf den Verbrauch eines Lkw – unabhängig von der Antriebsart. So führt die bei niedrigeren Temperaturen im Winter höhere Luftdichte stets zu einem gestiegenen Luftwiderstand – und damit zu einem Mehrverbrauch. Auch die für das Fahren im Winter notwendigen Reifen haben einen größeren Rollwiderstand und erhöhen den Verbrauch – je winterlicher die Straßenverhältnisse sind, desto griffiger müssen die Reifen sein und desto höher ist der Verbrauch“, sagt Jochen Gottstein, Manager Testing Energy Consumption & Range bei Daimler Truck, der auf der gesamten Tour dabei war.

Mehrverbrauch lag bei gut 25 Prozent

Bei genauerer Analyse eines repräsentativen Streckenabschnitts, der nach Kaltstart bei einer Durchschnittstemperatur von -2 Grad Celsius und auf Reifen der Energieeffizienzklasse B auf schneefreier Fahrbahn absolviert wurde, war ein Mehrverbrauch gegenüber der gleichen Strecke auf Reifen der Effizienzklasse A von ungefähr 25 Prozent zu erkennen. Fünf Prozent davon seien auf die Klimatisierung der Kabine bei angenehmen 21 Grad Celsius zurückzuführen. Unter ein Prozent sei verwendet worden, um die Batterie zu heizen. Deutlich unter ein Prozent des Mehrverbrauchs entfiel auf sonstige Nebenverbraucher. Rund vier Prozent wurden durch eine gegenüber dem Sommer geringere Rekuperationsleistung verursacht, die zu einem großen Teil im erhöhten Roll- und Luftwiderstand begründet sei. Letztere machten mit rund 15 Prozent den verbleibenden Löwenanteil der Verbrauchserhöhung aus.

Auf besonders anspruchsvollen Strecken mit überwiegend schneebedeckter und teilweise vereister Straße stieg der Mehrverbrauch gegenüber der Fahrt im Sommer auf Reifen der Effizienzklasse A auf sogar knapp 50 Prozent an. Dies sei primär auf die deutlich erhöhten Fahrwiderstände zurückzuführen. Der antriebsunabhängige Rollwiderstand, der für diese extremen Winterbedingungen ausgelegten Scandinavian Reifen der Energieeffizienzklasse D, hatte daran einen erheblichen Anteil.

„Tagsüber haben wir uns die Temperatur auf 21 Grad Celsius und nachts zum Schlafen auf 19 Grad Celsius eingestellt – bei Außentemperaturen zwischen -7 und 4 Grad Celsius,“ erklärt Werner Kempfle, Entwicklungsingenieur und Co-Projektleiter des eActros 600, der ebenfalls mit auf der Tour dabei war. Das habe zu einer Reichweitenverringerung von lediglich zwei bis fünf Prozent geführt. Mit Blick auf den Gesamtverbrauch falle der sogenannte „Hoteling“-Anteil somit kaum ins Gewicht und man müsse auch mit einem batterieelektrisch angetriebenen eActros 600 keine Angst davor haben, durch das Heizen des Fahrerhauses sein Ziel nicht erreichen zu können.

Geeignete öffentliche Lkw-Ladeinfrastruktur bleibt weiterhin die Ausnahme

Wie schon im Sommer wurden die Elektro-Lkw auch im Winter ausschließlich an öffentlichen Ladesäulen geladen. „Auch wenn es weiterhin herausfordernd ist, speziell für Lkw ausgelegte Lademöglichkeiten zu finden, so haben wir insbesondere in Skandinavien einige moderne Ladeparks vorgefunden, an denen wir unsere Trailer nicht absatteln mussten und ausreichend Ladeleistung und eine gute Infrastruktur für die Lenkzeitpausen vorhanden war“, so Gottstein.

eActros 600 Europatour bei Schnee und Eis
Daimler Truck

Insbesondere im Winter, bei sehr kalten Temperaturen und Schnee, ist das für die Fahrerinnen und Fahrer eine große Erleichterung. „Grundsätzlich müssen wir aber auch eingestehen, dass das eher die Ausnahme war und die Ladeinfrastruktur in den meisten Fällen, die wir gesehen haben, noch ausbaufähig ist“, so Gottstein weiter.

Ladevorgang mit neuer App „Mercedes-Benz Trucks Remote 3.0“ im Blick

Als ebenso echte Erleichterung für den Fahrer habe sich die für den eActros 600 neu eingeführte App „Mercedes-Benz Trucks Remote 3.0“ erwiesen. Die mobile App ist eine digitale Schnittstelle zwischen dem Fahrer und dem Lkw, über die wichtige Statusinformationen wie beispielsweise Batteriestand und Ladezustand abgerufen oder Push-Nachrichten empfangen werden können.

„Vor allem beim Laden hat sich die App als hilfreich erwiesen. So mussten wir Fahrer während der Ladezeit nicht permanent am Fahrzeug bleiben. Durch die App hatten wir die Fahrzeuge jederzeit unter Kontrolle, haben den Ladezustand gesehen und konnten beispielsweise im Fall eines Ladeabbruchs sofort reagieren“, lobt Kempfle den neuen Service.

Der eActros 600 verfügt über drei Batteriepakete mit jeweils 207 kWh, sprich eine Gesamtkapazität von 621 kWh. Die Batterien basieren auf der Lithium-Eisen-Phosphat-Zelltechnologie (LFP) und zeichnen sich durch eine hohe Lebensdauer aus. Die Entwicklungsingenieure von Mercedes-Benz Trucks haben den eActros 600 für dieselben Anforderungen an die Dauerhaltbarkeit von Fahrzeug und Komponenten wie einen vergleichbaren konventionellen schweren Fernverkehrs-Actros ausgelegt. Das bedeutet bis zu 1,2 Millionen Kilometer Laufleistung in zehn Betriebsjahren. Nach dieser Nutzungsdauer soll der Batteriezustand („State of Health“) noch mehr als 80 Prozent betragen.

Der Elektro-Lkw sei technisch auf ein kombiniertes Gesamtzuggewicht von bis zu 44 Tonnen ausgelegt. Mit einem Standardauflieger hat der eActros 600 in der EU eine Nutzlast von etwa 22 Tonnen. In einigen Fällen kann nationales Recht eine höhere Nutzlast zulassen. Daimler Truck feierte den Serienstart des eActros 600 Ende November vergangenen Jahres im Mercedes-Benz Werk Wörth. Seit Dezember wird der eActros 600 an die Kunden ausgeliefert.

Quelle: Daimler Truck – Pressemitteilung vom 25.02.2025

worthy pixel img
Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer ist E-Mobility-Journalist und hat stets das große Ganze im Blick: Darum schreibt er nicht nur über E-Autos, sondern auch andere Arten fossilfreier Mobilität sowie über Stromnetze, erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit im Allgemeinen.
Sidebar ads

Artikel teilen:

Schreib einen Kommentar und misch dich ein! 🚗⚡👇


MMM:

Auch einen Diesel muss man bei diesem Wetter „warmfahren“, in dieser Zeit verbraucht auch der mehr Kraftstoff. Wenn er erstmal warm ist, ist das kein Thema mehr. Ebenso nicht wegzudiskutieren ist ein höherer Luftwiderstand durch die dichtere Luft und ein höherer Rollwiderstand durch die Winterreifen. Prinzipbedingt (Stichwort Lastpunktverschiebung) wird sich das alles weniger auswirken als beim Elektroantrieb, aber mit 10% Mehrverbrauch würde ich auch hier rechnen.

Georg Laackman:

Ich empfehle die praxisnahen, ehrlichen Fahrvideos des Elektrotrucker mit Leistungs- und Reichweiten-Erfahrungen.
https://www.youtube.com/@elektrotrucker/videos

Scazzone:

Das klingt insgesamt sehr interessant und weniger dramatisch, als ich bspw. dachte. Wichtig wäre nun diese Testreihe mit einem Diesel zu absolvieren. Das sollte doch einfach mal Ehrlichkeit erzeugen. Ich nehme doch an, dass fast alle annehmen/ glauben, dass der Diesel Sommer wie Winter nahezu gleiche Verbrauchswerte und Leistung bietet. Und tanken kannste auch noch unkomplizierter.

Ähnliche Artikel

Cover Image for MG zündet nächste E-Auto-Stufe: IM5 und IM6 setzen auf 800-Volt-Technik

MG zündet nächste E-Auto-Stufe: IM5 und IM6 setzen auf 800-Volt-Technik

Michael Neißendorfer  —  

Auf einer 800-Volt-Plattform aufbauend, versprechen die Elektroautos nicht nur flotte Ladezeiten sondern auch hohe Reichweiten und viel Leistung.

Cover Image for Munro Series M startet mit 20 Millionen Euro Auftragsvolumen

Munro Series M startet mit 20 Millionen Euro Auftragsvolumen

Sebastian Henßler  —  

Für härteste Einsätze gemacht: Munros elektrischer 4×4 bietet Nutzlast, Zugkraft und drei Aufbauformen – wartungsarm, geländetauglich und alltagstauglich.

Cover Image for Mit V2G und Heimladen bares Geld sparen: Ford zeigt, wie sich Elektromobilität rechnet

Mit V2G und Heimladen bares Geld sparen: Ford zeigt, wie sich Elektromobilität rechnet

Michael Neißendorfer  —  

Ein entscheidender Gamechanger in der Elektromobilität spielt sich nicht auf der Straße ab – sondern in der Einfahrt, wie Zahlen von Ford zeigen.

Cover Image for Rivian: Quad-Motor mit 754 kW Leistung für R1S und R1T

Rivian: Quad-Motor mit 754 kW Leistung für R1S und R1T

Sebastian Henßler  —  

Vier Motoren, 1625 Nm Drehmoment und Launch Cam: Rivian stattet R1T und R1S mit verbesserter Technik für Alltag und Offroad aus.

Cover Image for Wie Accumotive die Batterien für den Mercedes-Benz CLA fertigt

Wie Accumotive die Batterien für den Mercedes-Benz CLA fertigt

Michael Neißendorfer  —  

Mit der Serienproduktion der Batterien für den vollelektrischen CLA setzt die Mercedes-Benz Tochter Accumotive in Kamenz einen großen Meilenstein.

Cover Image for Nur 1990 Stück: VW bringt ID.3 GTX Fire + Ice

Nur 1990 Stück: VW bringt ID.3 GTX Fire + Ice

Sebastian Henßler  —  

Ultra Violet trifft auf Flaming Red: Der ID.3 GTX Fire + Ice erinnert an den Golf-Klassiker von 1990 – jetzt mit Elektroantrieb, Design von Bogner und 240 kW Power.