Mercedes EQE: Wohl-Fahrt nach Akku-Art – Unsere Eindrücke

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Wolfgang Plank

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  —  Lesedauer 5 min

Erst haben sie sich ein bisschen Zeit gelassen mit dem elektrischen Vortrieb. Über Jahrzehnte war man bei Mercedes schließlich Maßstab in Fragen klassischen Automobilbaus. Nun aber herrscht Hochspannung im Konzern. Im Zeichen des Sterns heißt es jetzt stets auch Strom. Immer mehr Modelle rollen als reine E-Autos vom Band.

Jüngster Batterie-Benz ist der knapp fünf Meter lange EQE. Nicht so groß wie das Flaggschiff EQS, für die Marke aber womöglich sehr viel bedeutsamer. In der artverwandten E-Klasse nämlich sitzen die, die gehoben unterwegs sein wollen, im Regelfall aber noch selbst fahren. Eine eher bodenständige Kundschaft. Jedenfalls keine für irgendwelche Trends. Und darum womöglich die Feuerprobe für die gesamte Elektro-Strategie von Mercedes. Begeistert man diese Klientel fürs elektrische Pendant, leuchtet der Stern vermutlich heller denn je.

Getan haben sie bei Mercedes nahezu alles dafür. Wem der EQE keine Freude am spannenden Vortrieb beschert, dem ist mit Batterien und permanenterregten Synchronmotoren wohl generell nicht beizukommen. Schicke Linien, feine Details – aber dank kompakterer Kontur deutlich agiler als der große EQS. Das kürzere Heck bezahlt man mit einem minimal schlechteren cw-Wert (0,22). Die Luft hat einfach weniger Zeit sich zu beruhigen. Kollateralnutzen für Konservative: Statt Heckklappe wie beim EQS gibt es beim EQE Limousinen-Tradition: feste Heckscheibe samt klassischem Deckel über dem 430 Liter fassenden Kofferraum.

Platz hat’s vorne wie hinten üppig. In passgenauem Sitz und mit Blick auf ein Cockpit im Breitwand-Format, zu dem drei Bildschirme im optionalen Hyperscreen unter gemeinsamem Glas verschmelzen. Opulenter war selten ein Kommandostand. Hübscher Gag: Der Beifahrer kann auf seinem Teil bewegte Bilder schauen, während eine Kamera darüber wacht, dass der Fahrer nicht heimlich nach drüben schielt. Tut er’s doch, wird rechts gedimmt. Kleiner Trost: Auch der serienmäßige Touchscreen reicht völlig.

Material und Verarbeitung sind, wie man es von Mercedes erwarten darf: edel. Zum vielfältigen Zierrat gibt’s Klima-Komfort, Duft-Erlebnis und Musik, die bis ins Gestühl wummert. So muss man sich Wohl-Fahrt vorstellen. Nicht mal mehr lenken und bremsen müsste man, weil der EQE auf Wunsch rundum Obacht gibt, automatisch in der Spur bleibt, auf das richtige Tempo achtet, gebührend Abstand hält, vor Sekundenschlaf warnt und – wenn sonst nichts mehr hilft – den Anker wirft.

Zum Marktstart im Sommer bieten die Stuttgarter den heckgetriebenen EQE 350+ mit 215 kW (292 PS) sowie den EQE 43 4Matic der hauseigenen Attacke-Abteilung AMG mit 350 kW (476 PS). In Bälde folgen sollen mit dem EQE 500 sowie ein Mercedes-AMG EQE 53 zwei weitere Allrad-Modelle mit bis zu 505 kW (687 PS). Bei einer ersten Ausfahrt fehlt dem 350+ zwar der ganz harte Punch des 500, allerdings kontert er in kurvigem Geschlängel mit geringerem Gewicht und besserem Handling.

Wer allerdings allzu flott in enge Ecken strebt, muss trotz modernster Technik erfahren, dass Masse nun mal den Weg Richtung Tangente nimmt. Immerhin sind rund 2,4 Tonnen im Zaum zu halten. Linderung verschafft hier die optionale Hinterachslenkung, die mit 4,5 und zehn Grad Winkel zu haben ist. Wer’s gerne kommod schätzt, der kleinen Hatz zwischendurch aber nicht abgeneigt ist, dem sei das Luftfahrwerk empfohlen – einstellbar von Sänfte bis Sport.

Zwar steht der EQE auf der identischen Plattform wie der große Bruder, wegen des neun Zentimeter kürzeren Radstandes (3,12 Meter) allerdings findet zwischen den Achsen nur der kleinere der beiden EQS-Akkus Platz. Aus dessen 90 kWh (netto) saugt der 350+ bis zu 654 Kilometer Radius. Das sind 130 Kilometer weniger als der effizienteste EQS – aber weiß Gott kein Grund für irgendeinen Anflug von Reichweitenangst. Jedenfalls dann, wenn man die 6,4 Sekunden zur dreistelligen Tachoanzeige nicht zur Gewohnheit werden lässt und zum Maximaltempo von 210 ein wenig Abstand wahrt.

Nachhaltiger ist ohnehin die gepflegte und vor allem gleichmäßige Fahrt. Das Navigationssystem verfügt über eine „Electric Intelligence“-Funktion. Heißt: Der EQE berechnet – abhängig vom bei Zwischenstopps oder am Ziel gewünschten Akku-Rest – die optimalen Ladepunkte sowie die kürzest mögliche Verweildauer. Dabei schielt die Elektronik auf die Topographie, das aktuelle Wetter sowie den persönlichen Fahrstil – und bringt die Batterie rechtzeitig auf optimale Ladetemperatur. Viel schlauer geht’s kaum. Immer im Navi-Bild: die „Reichweitenkartoffel“ – flapsiger Ausdruck bei Mercedes für den verbleibenden, aber eben höchst selten kreisrunden Aktionsradius.

So oder so jedoch geht dem Akku irgendwann der Saft aus. An einer Gleichstrom-Säule lädt der EQE mit bis zu 170 kW und kommt in gut einer halben Stunde von 10 auf 80 Prozent. Für 250 Kilometer reichen sogar 15 Minuten. Sehr viel länger dauert ein Sprit-Stopp samt Kaffee auch nicht wirklich. An der Wallbox mit maximal 11 kW vergehen indes gute acht Stunden. Im Kauf des Wagens inbegriffen ist eine einjährige Mitgliedschaft bei „Mercedes Me Charge“, wo man in Europa Zugriff auf mehr als 300.000 Ladepunkte von mehr als 400 Betreibern hat.

Gebaut wird der EQE in Bremen und Peking. Für das kleinste Modell öffnen sich die Türen ab rund 71.000 Euro. Man wäre aber nicht bei Mercedes, wenn sich zum Basispreis nicht auch locker noch ein fünfstelliger Betrag zusätzlich anlegen ließe. Premium hat eben seinen Preis – Akku hin oder her.

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Wolfgang Plank ist freier Journalist und hat ein Faible für Autos, Politik und Motorsport. Tauscht deshalb den Platz am Schreibtisch gerne mal mit dem Schalensitz im Rallyeauto.
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Joerg:

Das häßlichste Heck eines Mercedes seit langer Zeit.
Sieht von der Seite aus wie abgebissen.

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