Wie viel grünen Wasserstoff benötigt Europas Industrie 2050?

Cover Image for Wie viel grünen Wasserstoff benötigt Europas Industrie 2050?
Copyright ©

Shutterstock / 2210445039 (Symbolbild)

Daniel Krenzer
Daniel Krenzer
  —  Lesedauer 4 min

Der Wandel zu einer klimaneutralen Industrie in Europa ist für die Bekämpfung der Klimakrise von zentraler Bedeutung. Im Mittelpunkt dieser Industriewende stehen vor allem die Produktion von Stahl, Zement und Chemikalien. Eine neue Studie des Fraunhofer ISI für die EU-Kommission hat die Auswirkungen der Industriewende auf das europäische Energiesystem in verschiedenen Szenarien untersucht.

Die Studie zeige, dass Europas Industrie im Jahr 2050 selbst bei starker Elektrifizierung der Prozesswärme substanzielle Mengen an grünem Wasserstoff und eine entsprechende Transportinfrastruktur benötigen werde. Studienautor Dr. Tobias Fleiter erläutert die Ergebnisse und verrät im von Fraunhofer als Pressemitteilung zugesandten Interview, woher grüner Wasserstoff für die Industrie in Zukunft kommen könnte.

Wie könnte das Energiesystem Europas im Jahr 2050 aussehen?
Die gute Nachricht ist, dass unsere Analyse zeigt: Eine Treibhausgasreduktion von mindestens 95 Prozent für den europäischen Industriesektor bis 2050 ist möglich. Doch damit diese Transformation gelingt, muss noch einiges passieren. Zum Beispiel die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft, höhere Energie- und Materialeffizienz sowie eine schnelle Einführung und Verbreitung von klimaneutralen Produktionsmethoden in vielen Sektoren, teilweise schon vor 2030.

Das europäische Energiesystem wird 2050 durch eine stark erhöhte Nachfrage nach Strom und Wasserstoff geprägt sein. Alleine in der Industrie könnte der Strombedarf so je nach Szenario von gut 1000 Terrawattstunden in 2019 auf 1500 bis 1850 Terrawattstunden in 2050 ansteigen. Die Nachfrage nach Wasserstoff könnte 2050 zwischen 1350 und 1800 Terrawattstunden betragen, je nach Grad der Elektrifizierung.

Deutlich geringer könnte die Wasserstoffnachfrage ausfallen, wenn die Grundstoffchemie und die Stahlindustrie einzelne energieintensive Produktionsschritte ins außereuropäische Ausland verlagern. Die gesamte Energienachfrage, zu der heute auch noch viele fossile Energieträger zählen, wird allerdings aufgrund steigender Energieeffizienz in im Jahr 2050 geringer als heute ausfallen.

In der Studie nutzen wir das Energiesystemmodell Metis um ein CO2-neutrales europäische Energiesystem zu untersuchen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Rolle einer CO2-neutralen Industrieproduktion und ihren Auswirkungen auf das Wasserstoff- und Stromsystem. Die Modellierung legt eine Kostenoptimierung des Systems zugrunde. Dabei wird die zukünftige Nachfrage nach Strom und Wasserstoff vorgegeben und das Modell berechnet einen Systemzustand zu minimalen Gesamtkosten. Einschließlich des Ausbaus und Einsatzes von Erneuerbaren Energien, Transportkapazitäten zwischen den Ländern sowie Speichern.

Welchen Einfluss hat die Transformation der Industrie auf das Energiesystem?
Die CO2-neutrale Industrieproduktion wird große Mengen CO2-neutralen Wasserstoff und Strom benötigen. Besonders für die Bereitstellung von Prozesswärme und den Ersatz von heute genutztem Erdgas, aber auch für die Versorgung der chemischen Industrie. Wenige Zwischenprodukte der chemischen Industrie (und der Stahlherstellung) sind für einen Großteil der Wasserstoffnachfrage verantwortlich.

Gleichzeitig ist sehr unsicher, wie die Chemie in Zukunft ihre CO2-neutralen Wertschöpfungsketten global aufstellen wird. Daher haben wir eine Szenariovariante gerechnet, in der wir annehmen, dass die Zwischenprodukte Ammoniak, Methanol und Ethylen sowie Eisenschwamm nach Europa importiert werden. Dies würde zu einer etwa 900 Terrawattstunden niedrigeren Nachfrage nach Wasserstoff führen.

In jedem der berechneten Szenarien benötigt Europas Industrie große Mengen an grünem Wasserstoff. In welchen Ländern könnte grüner Wasserstoff für Europas Industrie am günstigsten produziert werden?
Die Ergebnisse zeigen ein relativ klares Bild: Zentrale Voraussetzungen des CO2-neutralen Systems sind große Mengen Photovoltaik- und Windstrom, die an den besten Standorten in Europa ausgebaut werden. Unser Modell sieht die größten Kapazitäten für die Produktion von grünem Wasserstoff in Frankreich, Spanien, im Vereinigten Königreich sowie Norwegen. Bei Eintreten des Wasserstoff-Szenarios könnte zusätzlich Finnland mit zu einem der großen Wasserstoff-Exporteure in Europa werden, um die Nachfrage in Europa zu decken.

Falls die Standorte für Erneuerbare Energien nicht kostenoptimal ausgenutzt werden, wäre es wirtschaftlich, Wasserstoff aus Nordafrika beziehungsweise der Mena-Region (Nordafrika und Naher Osten, Anm. d. Red.) zu importieren, um Europas Bedarf zu stillen. Grüner Wasserstoff wird durch Elektrolyse erzeugt, vor allem in Regionen mit hohem EE-Potenzial und geringem Energiebedarf. Der Wasserstoff wird danach über ein Leitungsnetz in die Nachfragezentren transportiert. Dazu zählen beispielsweise Deutschland und die Niederlande mit hoher Bevölkerungsdichte und chemischer Grundstoffindustrie.

Laut Studie würden in Deutschland unter kostenoptimaler Betrachtung keine nennenswerte Produktion von grünem Wasserstoff stattfinden, da andere Länder bessere Produktionsbedingungen haben. Sollte Deutschland demnach auf eine eigene Produktion von grünem Wasserstoff verzichten?
Wichtig ist bei der Interpretation der Studie, dass die Szenarien von einem rein techno-ökonomisch optimierten Aufbau des CO2-neutralen Energiesystems in Europa ausgehen, also ohne jegliche politischen und gesellschaftlichen Einschränkungen in der Umsetzung. Diese Studie ist insofern auf keinen Fall eine Prognose und kann auch nicht direkt Vorlage für die Politik sein. Sie kann aber in die Entwicklung von Strategien einfließen. Und da ist die zentrale Botschaft für die EU und ihre Mitgliedstaaten, dass die Integration des europäischen Systems über den Strom- und Wasserstoffhandel Kostenvorteile gegenüber nationalen Lösungen mit sich bringt.

Dass die Produktion von grünem Wasserstoff an Standorten mit hohem Potential für Wind- und Solarenergie kosteneffizienter ist, sollte niemanden überraschen. Trotzdem muss die Politik abwägen, inwiefern sich beispielsweise Deutschland vom (europäischen) Ausland abhängig machen möchte und sollte.

Wenn zusätzlich noch die Erwartungen vorliegen, dass der Ausbau der Erneuerbaren in vielen Ländern nicht so schnell wie errechnet vorangehen wird, sollte Deutschland natürlich trotzdem versuchen, eigenen grünen Wasserstoff zu produzieren. Systemresilienz ist hier also auch ein wichtiges Stichwort und sollte nicht vernachlässigt werden. Am Ende steht die gute Nachricht, dass Europa in der Theorie die Voraussetzungen erfüllt, sich selbst kosteneffizient mit grünem Wasserstoff unabhängig von Drittstaaten zu versorgen.

Quelle: Fraunhofer ISI – Pressemitteilung vom 09.08.2023

worthy pixel img
Daniel Krenzer

Daniel Krenzer

Daniel Krenzer ist als studierter Verkehrsgeograf und gelernter Redakteur seit mehr als zehn Jahren auch als journalistischer Autotester mit Fokus auf alternative Antriebe aktiv und hat sich zudem 2022 zum IHK-zertifizierten Berater für E-Mobilität und alternative Antriebe ausbilden lassen.

Artikel teilen:

Schreib einen Kommentar und misch dich ein! 🚗⚡👇


Djebasch:

Kraftstoffverbrauch Deutschland täglich
Täglich werden 121 Millionen Liter Diesel verbraucht – Statistisches Bundesamt.08.08.2017
Benzin bei aktuellen Zahlen ca 50Millionen Tonnen
https://www.iesrusadir.es/deutschland/wie-viel-liter-benzin-werden-taglich-in-deutschland-getankt.html

Josef:

100Mio Tonnen/Tag?
Nach meinem Kenntnisstand verbraucht Deutschland ca. 45 Milliarden Liter Benzin pro Jahr…wenn man die Dichte vernachlässigt und auf 1 setzt, dann komme ich auf ca. 123287t pro Tag. Also meilenweit weg von diesem utopischen Zahlen

Josef:

So ist es, wir müssen nicht 100% Öl und Gas durch 100% Strom ersetzen.
Es muss gleichzeitig Energieeffizenz verbessert werden.
Kraftwärmekopplung mit Fernwärme z. B.
Eine Wärmepumpe hat eine COP von ca 1:4… d.h 100% Gas kann ca. mit 25% Strom kompensiert werden…kommt aber on Top zum heutigen Strom dazu.
Wenn wir die 45.000.000.000 L Benzin/Jahr nicht mehr produzieren müssen, die ca 1,6 kwh/Liter zur Produktion benötigen…laut OMV…dann sind schon 72TWh übrig die für ca 24 Mio Autos und 15k km/Jahr genügen.
Wie man sieht die Verbrenner Infrastruktur ist schon alleine die pure Verschwendung.

Dodo:

Das alles, vorausgesetzt es kommt nicht die Falsche Partei mit an die Macht. Damit wäre das alles hinfällig und zwar für sehr lange. Denn, die werden wissen wie man die Opposition regelrecht wegsperrt! Dazu kommt ausländische Hilfe von wahren „Profis“ in dem Bereich.

Djebasch:

Naja das das mit dem Kolonialismus nicht funktioniert sieht man ja gerade in Chile da „Porsche“ ja der Ausbau der Wasserstoffanlage untersagt wurde und man weiter nur mit dieser Mikroanlage testet…

Djebasch:

Was ist an 40 Millionen PKW Vernachlässigbar ?! Diese Alleine verbrauchen fast 100Millionen Tonnen Treibstoff am Tag!

Djebasch:

Sie wissen aber schon das der Primärenergieverbrauch auch verlorene Wärme in Kraftwerken berechnet und damit absoluter Unfug ist!
Denn aktuell werden gerade einmal 30% Abwärme von Kraftwerken in der Heiz oder Energienutzung verwendet , der Rest verpufft aktuell!
Reine Energie sowohl Wärme als auch Strom benötigen wir nach aktuellen Berechnungen ca. 1300TWh

Norbert Seebach:

Korrektur: Die Versuchsanlage von Porsche steht natürlich in Chile – nicht China! Schei… Autokorrektur!!!

Norbert Seebach:

Nach meinem Kenntnisstand ist die Situation aktuell so, dass alle vorhandenen und bislang geplanten H2-Produktionskapazitäten gerade mal ausreichen würden, um ca. 1% der Kfz-Bestandsflotte damit zu betreiben. Für Bereiche, die bislang (noch) nicht elektrifiziert werden können, bliebe NULL (!) übrig. So grottendumm ist nichtmal die marktradikalen FDP, das ihr dies nicht bekannt wäre. Dennoch hat man die demagogische Schwachsinns- Debatte um E-Fuels vom Zaum gebrochen und D in der gesamten EU zum Gespött gemacht, um den Verbrennungsmotor möglichst lange am Leben zu erhalten. Ähnlich interessengesteuert ist die Wasserstoffdebatte, wo alle ernstzunehmenden Experten auf Jahrzehnte hinaus eine Knappheit sehen und den Einsatz daher auf die noch nicht substituierbaren Bereiche beschränkt sehen wollen. Was Lieferungen aus dem Ausland angeht noch kurz zwei Bemerkungen: zum einen gibt es außer einer kleinen (Porsche)-Versuchsanlage in China noch keinerlei Kapazitäten, zum anderen mutet es schon sehr „neokolonial“ an, mit welcher Selbstverständlichkeit D davon ausgeht, dass die Ressourcen in Afrika, Südamerika und sonstwo in der Welt gefälligst zuvorderst der Deckung unseres Bedarfes zu dienen haben. Ist irgendwer vielleicht schonmal darauf gekommen, dass diese Länder ihre grüne Energie zur wirtschaftlichen Entwicklung selbst benötigen könnten?

Philipp:

Wir benötigen derzeit ca. 500TWh Strom pro Jahr. Der Primärenergieverbrauch liegt aktuell über 3000TWh pro Jahr. Wir müßten also die Stromproduktion versechsfachen und weil wir erst 50% EE erreicht haben sogar verzwölffachen in der ersten Näherung.

Wir werden aber wohl mit unter 2000TWh pro Jahr auskommen, weil ohne Einsparung es nicht möglich ist (z.B. durch Wärmedämmung), bzw. die automatisch kommt (weil Wärmepumpen nunmal um ein vielfaches effizienter sind als Gas-/Ölheizungen).

Es reicht also nicht, wenn man etwas Überschuß hat. Wir müssen weiterhin in dieser Näherung die EE schon verachtfachen, nicht nur 80% irgendwas…

Ähnliche Artikel

Cover Image for VW ID.3 könnte 2027 zum ID. Golf werden

VW ID.3 könnte 2027 zum ID. Golf werden

Sebastian Henßler  —  

Der ID. Polo macht 2026 den Auftakt, ein Jahr später könnte der ID.3 zum ID. Golf werden – ein klares Signal, wie VW Historie und Zukunft verknüpft.

Cover Image for Volkswagen: Aus VW ID. 2all wird 2026 der ID. Polo

Volkswagen: Aus VW ID. 2all wird 2026 der ID. Polo

Sebastian Henßler  —  

VW überführt bekannte Namen in die ID.-Reihe: Aus ID. 2all wird ID. Polo. Parallel zu den E-Autos bleiben Verbrenner-Modelle mit ihren Namen im Programm.

Cover Image for Volvos neues E-SUV EX60 kommt im Januar. Nicht zur IAA

Volvos neues E-SUV EX60 kommt im Januar. Nicht zur IAA

Sebastian Henßler  —  

Mit dem EX60 stärkt Volvo seine Position im Segment der Mittelklasse-SUV. Das Modell gilt als Eckpfeiler der künftigen, rein elektrischen Produktpalette.

Cover Image for Wie BMW seine neuen Brennstoffzellenantriebe entwickelt

Wie BMW seine neuen Brennstoffzellenantriebe entwickelt

Michael Neißendorfer  —  

BMW bereitet sich auf die Serienproduktion von Brennstoffzellsystemen für Wasserstoff-Autos vor, die 2028 starten soll.

Cover Image for Leapmotor will ab 2026 in Spanien E-Autos bauen

Leapmotor will ab 2026 in Spanien E-Autos bauen

Daniel Krenzer  —  

Eine Produktion in Polen hat die Volksrepublik China verboten, nun sollen bald Elektroautos von Leapmotor in Saragossa vom Band rollen.

Cover Image for Suzuki startet weltweiten Export des vollelektrischen e Vitara aus Indien

Suzuki startet weltweiten Export des vollelektrischen e Vitara aus Indien

Michael Neißendorfer  —  

Das erste E-Auto von Suzuki wird in Indien produziert und weltweit in mehr als 100 Länder exportiert – darunter auch nach Europa und Japan.