Automobiler Mittelstand blickt pessimistisch in die Zukunft

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Michael Neißendorfer
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  —  Lesedauer 4 min

Für jedes zweite Unternehmen des automobilen Mittelstands in Deutschland (50 Prozent) bleibt der bisherige wirtschaftliche Jahresverlauf hinter den Erwartungen zurück, weitere 19 Prozent sehen ihre ohnehin schlechten Erwartungen bestätigt. Lediglich 5 Prozent der Unternehmen konnten ihre Erwartungen übertreffen, für ein Viertel der Unternehmen lief es wie erwartet gut. Das sind zentrale Ergebnisse einer aktuellen Umfrage, die der Automobilverband VDA unter den Automobilzulieferern (Herstellergruppe III) sowie den mittelständisch geprägten Herstellern von Anhängern, Aufbauten und Bussen (Herstellergruppe II) seit dem Frühjahr 2020 regelmäßig durchführt.

Auch der Ausblick ist getrübt: Für 2025 erwarten lediglich 17 Prozent der befragten Unternehmen eine Verbesserung gegenüber diesem Jahr. Rund jedes zweite Unternehmen (45 Prozent) geht davon aus, dass die Situation in etwa unverändert bleibt. Und vier von zehn Unternehmen (38 Prozent) nehmen an, dass sich ihre wirtschaftliche Entwicklung sogar verschlechtern wird.

Zum immer größeren Problem für den automobilen Mittelstand wird dabei die Auftragslage, die zwei von drei Unternehmen (65,5 Prozent) als große oder sehr große Herausforderung angeben. Das zeigt: Die schwache gesamtwirtschaftliche Entwicklung sowie die aktuell schwache Entwicklung des europäischen Automarkts kommen immer stärker im automobilen Mittelstand an. Und die hohen Auftragspolster der Vergangenheit seien endgültig abgearbeitet.

VDA-Präsidentin Hildegard Müller: „Die Zulieferindustrie und insbesondere die zahlreichen mittelständischen Unternehmen sind ein zentraler Faktor für eine erfolgreiche Transformation der deutschen Automobilindustrie. Doch die schwache Nachfrage in Kombination mit den Standortbedingungen wird gerade für die Unternehmen des industriellen Mittelstands zunehmend toxisch“. Umso wichtiger sei es jetzt, „dass die politischen Rahmenbedingungen sie unterstützen – statt zusätzlich belasten“, so die VDA-Präsidentin.

Müller sagt, dass die deutschen Zulieferunternehmen mit ihren Produkten „international wettbewerbsfähig“ seien, der Standort Deutschland aber sei es „für viele Unternehmen aktuell nicht“. Die Politik müsse „endlich die Ursachen der Probleme angehen: Wir benötigen konkurrenzfähige Energiepreise, einen konsequenten Bürokratieabbau, Infrastrukturinvestitionen, Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel sowie internationale Handels- und Rohstoffabkommen, die zeitnah und in großem Umfang abgeschlossen werden müssen“, fordert die VDA-Präsidentin.

Zulieferer seien zudem in letzter Zeit mit deutlich erschwerten Zugängen zu Bankfinanzierungen konfrontiert, so die VDA-Präsidentin weiter. „Banken können die Lage verbessern, wenn sie den Automotive-Sektor differenzierter betrachten. Es gibt viele erfolgreiche Transformationsmodelle bei den Zulieferern“, betont Müller.

Investitionsstreichungen auf bislang höchstem Niveau

Die Umfrage zeigt auch: Die Investitionstätigkeit in Deutschland ist weiter schwach. Angesichts der Geschäftserwartungen halten sich die Unternehmen mit Investitionen zunehmend zurück. Sieben von zehn (69 Prozent) der Unternehmen gaben in der VDA-Umfrage an, eigentlich geplante Investitionen in Deutschland zu verschieben, zu verlagern oder ganz zu streichen.

Demnach plant jedes vierte Unternehmen (23 Prozent) eine Investitionsverlagerung ins Ausland – der bisher niedrigste Wert seit Durchführung dieser Umfrage. Bei der letzten Umfrage im Mai 2024 waren es noch 37 Prozent. Die aktuelle Umfrage zeigt: Verlagerungsziele sind Asien, die EU und Nordamerika (in dieser Reihenfolge).

Gleichzeitig bewegen sich die Investitionsstreichungen auf dem bislang höchsten Niveau: 19 Prozent der befragten Unternehmen planen eine Streichung von Investitionen. Unverändert gegenüber der letzten Umfrage ist, dass lediglich ein Prozent der Unternehmen angibt, Investitionen in Deutschland angesichts der aktuellen Lage erhöhen zu wollen. Beeinträchtigt wird die Investitionstätigkeit in Deutschland aktuell vor allem durch die aktuelle Absatzlage sowie die Absatzerwartung.

Unternehmen verringern Beschäftigung

Weiteres Ergebnis der Umfrage im automobilen Mittelstand: Der Anteil der Unternehmen, die unter einem Mangel an Fach- und Arbeitskräften leiden, ist deutlich gesunken. Aktuell beklagen nur 37 Prozent der Unternehmen diesen Mangel, was eine deutliche Verringerung gegenüber allen vorherigen Umfragen darstellt. Entsprechend ist auch der Anteil der Unternehmen gesunken, die angaben, Schwierigkeiten zu haben, den kurz- und mittelfristigen Fachkräftebedarf zu decken (26 Prozent). Die Zahlen sind ein Alarmzeichen, zeigen sie doch, dass sich die schwache gesamtwirtschaftliche Entwicklung, insbesondere in der Industrie, auch auf dem Arbeitsmarkt zeigt.

Mehr als jedes zweite befragte Unternehmen (54 Prozent) gab zudem an, aktuell Beschäftigung in Deutschland abzubauen. 14 Prozent bauen Beschäftigung auf, in 32 Prozent bleiben die Beschäftigungszahlen konstant. Effizienzsteigerungsprogramme planen 69 Prozent der Unternehmen als Reaktion auf die aktuelle konjunkturelle Situation und die mittelfristige Absatzerwartung. 59 Prozent setzen auf Umstrukturierungsmaßnahmen, 29 Prozent streben eine Diversifizierung in andere Branchen an.

Bürokratieabbau wichtigste Priorität für die neue EU-Kommission

Für die Unternehmen des automobilen Mittelstandes muss der Bürokratieabbau oberste Priorität für die neue EU-Kommission haben, ganze 92 Prozent sehen dies so. Es folgen eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit (63 Prozent) und Erleichterungen bei Berichtspflichten (62 Prozent). Auf den Mittelstand zugeschnittene Förderprogramme sollten aus Sicht von 41 Prozent der Unternehmen einen Schwerpunkt bilden.

Quelle: VDA – Pressemitteilung vom 05.11.2024

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Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer ist E-Mobility-Journalist und hat stets das große Ganze im Blick: Darum schreibt er nicht nur über E-Autos, sondern auch andere Arten fossilfreier Mobilität sowie über Stromnetze, erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit im Allgemeinen.

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Josef:

Aha, was haben die Rahmenbedingungen damit zu tun, dass es eine Überproduktion in der Industrie gibt?

Es wird seit Jahrzehnten zu viel produziert und durch Tageszulassungen und „Abdrücken“ in die Flotten von Vermieter alles versteckt.
Warum gibt es denn seit Jahren 6 bis 9 Monate alte Autos die um 50% von der Liste liegen, wie in 2021 mein Passat GTE?
Weil es zu viele Autos gibt, die nicht verkäuflich sind für den Listenpreis…
Das ganze kumuliert gerade, da die Flotten zu wenig abnehmen…können…da gesättigt.
Das dieser Unfug irgendwann in sich zusammenbricht, war abzusehen…mich wundert, dass es nicht schon früher passiert ist.

Bei „normalen“ Marktgegebenheiten sinkt der Preis eines Produktes wenn die Nachfrage sinkt…die Auto OEMs wollen aber die sinkende Nachfrage mit steigenden Listenpreisen kompensieren, um den Gewinn gar noch zu steigern…genau mein Humor.
Damit würgen sie erst recht den Konsum ab.
Häufig sieht man dann eher Preise nahe am Preisdumping, um die Konkurrenz zu beseitigen…dazu fehlt aber die „Luft“ bei allen.

Marcel Gleißner:

Kein Wunder, bei den schlechten Rahmenbedingungen in Deutschland

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