China will bis 2027 Tausende bidirektionale Ladestationen aufbauen

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Michael Neißendorfer
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In China ist die weltweit größte Elektroautoflotte unterwegs, die schon bald zu einem riesigen Batterienetzwerk werden kann. Denn die chinesische Regierung will spezielle bidirektionale Ladestationen einrichten, die es geparkten Elektroautos ermöglichen, während Spitzenlastzeiten Strom aus ihren Batterien wieder zurück ins Netz zu speisen. Sie nutzen die Vehicle-to-Grid-Technologie, oder V2G. Mehr als 30 V2G-Stationen wurden bereits in neun Städten Chinas eingerichtet, darunter Peking und Shanghai. Der Plan sieht vor, bis 2027 insgesamt 5000 solcher Stationen unter den rund 28 Millionen Ladepunkten Chinas zu haben, wie Rest of World berichtet.

Chinesische Beamte prognostizieren demnach, dass eine breite Einführung von V2G bis 2030 eine Kapazität von 1 Milliarde Kilowattstunden bzw. 1000 Gigawattstunden aus einer erwarteten Flotte von 100 Millionen Elektrofahrzeugen freisetzen könnte. Der Schritt könnte helfen, über Kohle hinaus die Energiequellen in einem Land zu diversifizieren, in dem aktuell bereits 40 Millionen Elektrofahrzeuge zugelassen sind.

China strebt eine landesweite Einführung der Technologie an, während andere Länder noch Schwierigkeiten bei der Umsetzung von V2G haben und sich seit über einem Jahrzehnt in kleinen Pilotprojekten verheddern. Mehr als 150 V2G-Projekte gab es in 27 Ländern, darunter Japan, Südkorea, Großbritannien, den USA und auch Deutschland. Während die Technologie auf dem Papier vorteilhaft erscheint, konnten ihre Versuche die Probleme hoher Kosten, Widerstand von Verbrauchern und Markthindernisse wie inkonsistente Strompreissysteme noch nicht gänzlich überwinden – auch wenn langsam Licht am Tunnelende sichtbar wird und in Europa erste Hersteller wie Renault und BMW bereits V2G-Insellösungen anbieten.

„China ist offensichtlich der globale Marktführer bei Elektrofahrzeugen, aber bei V2G steckt die Einführung noch in den Kinderschuhen“, erklärte Alan Jenn, ein Elektroauto-Experte am Institute of Transportation Studies der University of California, Davis, gegenüber Rest of World. „V2G in China könnte sicherlich weiter vorangetrieben werden als in anderen Ländern, die Regierung ist viel eher bereit, groß angelegte Investitionen in einem ganz anderen Ausmaß zu tätigen als die meisten anderen Länder der Welt.“

China möchte parkende Elektroautos in mobile Energiespeicher verwandeln, die die Stromnetze während der Spitzennachfrage stabilisieren können. Im Schnitt stehen Autos mehr als 95 Prozent der Zeit ungenutzt auf einem Stellplatz. Ist ein E-Auto während dieser Zeit mit einer bidirektionalen Ladebox verbunden, kann ihre Batterie im Überfluss vorhandenen und daher billigen nächtlichen Strom speichern und ihn dann zurückspeisen, wenn viel Strom benötigt wird und die Preise wieder in die Höhe schießen. Eigentümer könnten also Geld verdienen, während ihre Fahrzeuge geparkt stehen. Mehrere Hundert bis sogar mehr als 1000 Euro sollen auf diese Weise pro Jahr eingenommen werden können, wie mehrere europäische Pilotprojekte bereits gezeigt haben.

In der Praxis gibt es noch mehrere Hindernisse für V2G

Nicht nur hierzulande, auch in China gibt es noch mehrere Hürden, die V2G im Wege stehen: Erstens verkaufen chinesische Autohersteller wie BYD, Nio und GAC Aion nur wenige V2G-fähige Modelle, was die Anzahl der Autos begrenzt, die für bidirektionales Laden genutzt werden können.

Auch die Preisgestaltung ist ein Problem: Eine bidirektionale Ladestation kostet in China zwischen umgerechnet 2100 und 2800 US-Dollar – zwei- bis dreimal so viel wie eine Standard-Wallbox, so Rest of World. Dies erschwere die Skalierung ohne Subventionen.

„Der eigentliche Schmerzpunkt ist das fehlende Geschäftsmodell“, sagte Mo Ke, Gründer der chinesischen Batterieberatung RealLi Research, gegenüber dem Portal. „Alle aktuellen Projekte werden stark subventioniert. Sie sind noch lange nicht kommerziell nutzbar.“

Sorgen um die Batterielebensdauer sind hoch

Die Sorge der Verbraucher um die Batterielebensdauer ist eine weitere Hürde: Besitzer von Elektroautos befürchten, dass ständiges Laden und Entladen ihre teure Batterien vorschnell verschleißen könnte. Ein Bericht von Fortune Business Insights, der dieses Jahr veröffentlicht wurde, identifizierte Batterieverschleiß als eine der Hauptsorgen potenzieller V2G-Nutzer. „Die meisten Herausforderungen, über die die Leute sprechen, betreffen die Hardware und ob die Technologie bereit ist“, sagte Jenn. „Aber die Barrieren seitens der Kunden und des individuellen Verhaltens sind genauso große Herausforderungen – wenn nicht größere.“

Chinas staatlich geführtes Stromnetz fügt eine weitere Komplexitätsebene hinzu. Das Land ist laut Regierungsangaben immer noch für mehr als die Hälfte seiner Stromerzeugung auf Kohle angewiesen. Die weitgehend staatlich kontrollierten Strompreise lassen trotz jahrelanger marktorientierter Reformen wenig Spielraum für Schwankungen. Dies steht in scharfem Kontrast zu Regionen wie etwa Kalifornien, wo marktgesteuerte Preisgestaltung seit einem Jahrzehnt funktioniert und es ermöglicht, dass Preise im Tagesverlauf stärker schwanken.

„Nur wenige Politiker sahen einen starken Anreiz für China, die V2G-Technologie zu entwickeln, weil der Preismechanismus staatlich kontrolliert war“, sagte Qin Yudi, der 2021 das V2G-Startup Lynkvertx gründete, gegenüber Rest of World. „Viele glauben auch, dass China sich ausschließlich darauf verlassen kann, massive Infrastrukturprojekte zu bauen, um genug Energie aus erneuerbaren Quellen zu erzeugen, genau wie sie es mit nicht-erneuerbaren getan haben.“

V2G wird auch in Europa kommen

Qin bleibt vorsichtig hinsichtlich des Zeitplans für die kommerzielle Rentabilität von V2G. Lynkvertx expandierte in den Nahen Osten und Südostasien und diversifizierte über V2G hinaus. Er sieht Parallelen zu Chinas Elektroauto-Reise: Es dauerte Jahre an Subventionen und politischer Weichenstellungen, bis das Land seine heutige Position als Weltmarktführer erreichte.

Letztes Jahr führte Peking technische Standards für V2G ein und verpflichtete sich, marktorientiertere Preismechanismen einzuführen. Lokale Regierungen begannen, mit eigenen Preismodellen zu experimentieren. „Seit über einem Jahrzehnt wird das Versprechen von V2G durch ein komplexes Netz miteinander verbundener Barrieren blockiert“, sagte Kai Li Lim, St. Baker Fellow für E-Mobilität an der University of Queensland, gegenüber Rest of World. „Erschwerend kommt ein Flickenteppich komplexer und inkonsistenter Regeln für den Netzanschluss hinzu, die die Skalierbarkeit ersticken.“ Marktbeobachter sind daher hinsichtlich Chinas Chancen geteilter Meinung. Die Technologie funktioniert, doch die Schaffung nachhaltiger Geschäftsmodelle erfordert grundlegende Veränderungen.

„Es geht darum, wie schnell China seinen Strommarkt liberalisieren wird“, sagte Qin. „Die Zukunft von V2G ist definitiv da. Sie ist nicht so schnell da, wie wir es uns gewünscht hätten, und könnte noch weitere drei oder vier Jahre brauchen, um abzuheben. Aber sie wird kommen, genau wie es Elektrofahrzeuge in China getan haben.“

Und auch in Europa wird die Technologie kommen, vielleicht sogar schneller als in China. Denn die Europäische Union hat bereits beschlossen, dass ab 2027 alle neuen Ladestationen für bidirektionale Ladefähigkeit über die Norm ISO 15118-20 technologisch vorbereitet sein müssen.

Quelle: Rest of World – China wants electric cars to feed power back to the grid

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Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer ist E-Mobility-Journalist und hat stets das große Ganze im Blick: Darum schreibt er nicht nur über E-Autos, sondern auch andere Arten fossilfreier Mobilität sowie über Stromnetze, erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit im Allgemeinen.

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